Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
britischem Boden gediehen. Die ersten Europäer, die von Osten her ins Innere Amerikas vorstießen, suchten kein Land zum Siedeln und keine Passage nach Westen, sondern Pflanzen, die sie weiterverkaufen konnten. Sie fanden reihenweise wunderbare neue Arten: Azaleen, Astern und Kamelien, Trompetenbäume, Euphorbien, Hortensien, Rhododendren, Rudbeckien, Wilden Wein, Wildkirsche und die verschiedensten Farne, Sträucher, Bäume und Rankengewächse. Mit neuen Pflanzen, die man unversehrt in die Gewächshäuser Europas zum Weiterzüchten brachte, konnte man ein Vermögen verdienen. Bald streiften so viele Pflanzenjäger durch die Wälder Nordamerikas, dass man heute oft gar nicht mehr sagen kann, wer was als Erster gefunden hat. John Fraser, nach dem die Frasertanne benannt worden ist, entdeckte, je nachdem, welcher Naturgeschichte man Glauben schenkt, entweder vierundachtzig neue Arten oder zweihundertfünfzehn.
Pflanzenjagen war beileibe nicht ungefährlich. Joseph Paxton schickte zwei Männer nach Nordamerika, die mal schauen sollten, was sie fanden. Beide ertranken, als ihr schwer beladenes I3oot in einem schäumenden Fluss in British Columbia kenterte. Der Sohn von André Michaux, einem französischen Pflanzenjäger, wurde von einem Bären übel zugerichtet, auf Hawaii fiel David Douglas, der Entdecker der Douglasfichte, in einem besonders ungünstigen Moment in eine Tierfalle. In der saß schon ein wilder Stier, der ihn umgehend zu Tode trampelte. Andere Männer verirrten sich und verhungerten oder starben an Malaria, Gelbfieber oder sonstigen Krankheiten. Manch einer wurde auch von argwöhnischen Einheimischen vom Leben zum Tode befördert. Wer aber Glück hatte, erwarb, wie gesagt, oft beträchtlichen Wohlstand — besonders gut zu sehen an Robert Fortune, dem wir zuletzt im achten Kapitel begegnet sind, als er auf gefahrvollen Pfaden als Einheimischer verkleidet durch China wandelte, um zu erkunden, wie man Tee herstellte. Steinreich wurde er indes, weil er Chrysanthemen und Azaleen in die britischen Gewächshäuser brachte.
Andere, von der schlichten Suche nach Abenteuer angetrieben, waren, scheint's, oft sehr schlecht beraten. So auch die jungen Freunde Alfred Russel Wallace und Henry Walter Bates, beides Söhne englischer Geschäftsmänner mit bescheidenen Mitteln. Obwohl die Jünglinge noch nie aus England heraus gewesen waren, beschlossen sie 1848, nach Amazonien zu reisen, um neue Pflanzen zu suchen. Bald gesellten sich ihnen Wallaces' Bruder Herbert und ein weiterer passionierter Laie hinzu, Richard Spruce, Schulmeister von Castle Howard in Yorkshire, der nie vor etwas Herausfordernderem gestanden hatte als einer lieblichen englischen Au. Allesamt waren sie offenbar nicht im Entferntesten auf ein Leben in den Tropen vorbereitet, und der arme Herbert demonstrierte das aufs Feinste, indem er kurz nach ihrer Ankunft Gelbfieber bekam und verschied. Die anderen machten weiter, trennten sich aber aus unbekannten Gründen und marschierten in verschiedene Richtungen los.
Wallace stürzte sich in den Dschungel am Rio Negro und sammelte die nächsten vier Jahre wider alle Unbilden der Natur stur und beharrlich Pflanzen. Insekten machten ihm das Leben zur Hölle, bei einer Hornissenattacke verlor er seine Brille, ohne die er blind wie ein Maulwurf war, und in einem anderen chaotischen Moment büßte er einen Stiefel ein und musste eine Weile mit nur einem Schuh durch den Regenwald humpeln. Bei seinen indigenen Führern sorgte er für Verwirrung, weil er seine Fundstücke in Behältern mit Caxaca konservierte, einem aus vergorenem Rohrzucker gewonnenen Alkohol, und ihn nicht wie jeder vernünftige Mann trank. Weil sie ihn für verrückt hielten, requirierten sie den verbliebenen Caxaca und entschwanden im tropischen Dickicht. Unverdrossen — er war gar nicht zu verdrießen — stapfte Wallace weiter.
Nach vier Jahren taumelte er erschöpft und zerlumpt aus der dampfenden Wildnis, halb im Delirium und zitternd von einem immer wiederkehrenden Fieber, aber im Besitz einer Sammlung seltener Pflanzen. In der brasilianischen Hafenstadt Parä kaufte er sich eine Passage zurück nach Hause. Mitten auf dem Atlantik fing die Barke Helen Feuer, Wallace musste ohne seine kostbare Fracht in ein Rettungsboot klettern und zusehen, wie das Schiff von den Flammen verzehrt wurde, in den Wellen versank und mit ihm seine Schätze. Unverzagt (na, vielleicht nun doch ein bisschen verzagt) gönnte er sich zu Hause eine kurze
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