Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
von Jahren. Mit dem Ackerbau begann man vor 11 500 Jahren in der Levante, vor achttausend Jahren in China und vor etwas mehr als fünftausend Jahren in großen Teilen des amerikanischen Doppelkontinents. Die Menschen lebten auch schon seit viertausend Jahren mit domestizierten Tieren, bevor jemand auf die Idee kam, die größeren Tiere arbeiten, nämlich einen Pflug ziehen zu lassen; im Abendland quälte man sich noch weitere zweitausend Jahre mit einem schweren, unhandlichen, höchst ineffizienten Pflug mit gerader Schar ab, bis jemand mit der einfachen gekrümmten Pflugschar ankam, die die Chinesen schon von jeher einsetzten. In Mesopotamien wurde das Rad erfunden und sofort benutzt, doch im benachbarten Ägypten wartete man zweitausend Jahre, bevor man es auch zum Einsatz brachte. Unabhängig davon erfanden die Maya in Mittelamerika ebenfalls das Rad, doch da ihnen keinerlei praktische Anwendung dafür einfiel, nahmen sie es ausschließlich als Kinderspielzeug. Die Inka hatten überhaupt keine Räder. Auch kein Geld oder Eisen und keine Schrift. Kurzum, der Fortschritt schritt alles andere als vorhersehbar und gleichmäßig fort.
Lange dachte man, dass die sogenannte Sesshaftwerdung mit dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht Hand in Hand ging. Man nahm an, dass die Menschen aufhörten, als Nomaden umherzuziehen, und Land bebauten und Haustiere hielten, um sich verlässlichere Nahrungsquellen zu verschaffen.Wilde Tiere zu erlegen ist schwierig und riskant, und die Jäger kamen bestimmt manches Mal mit leeren Händen nach Hause. Da ist es doch viel besser, die Kontrolle über seine Nahrungsmittel selbst in die Hand zu nehmen und diese dauerhaft und bequem in Reichweite zu haben. Doch die Forscher begriffen schon sehr früh, dass auch das Sesshaftwerden keineswegs glatt und reibungslos verlief. Ungefähr zu der Zeit, als Childe in Skara Brae buddelte, arbeitete eine Archäologin namens Dorothy Garrod von der Universität Cambridge in Palästina und entdeckte in der Skubah-Höhle eine uralte Kultur, die sie Natufien nannte, nach dem Wadi An Natuf, einem in der Nähe gelegenen trockenen Flussbett. Die Menschen des Natufien bauten die ersten Dörfer und gründeten Jericho, das zur ersten echten Stadt der Welt wurde. Diese Menschen waren also sehr sesshaft. Doch sie betrieben weder Ackerbau noch Viehzucht. Was alle überraschte. Aber bei anderen Grabungen überall im Nahen Osten entdeckte man dann, dass es gar nicht ungewöhnlich war, dass Menschen sich, lange bevor sie sich produzierenden Wirtschaftsweisen zuwandten, in dauerhaften Gemeinwesen niederließen — manchmal bis zu achttausend Jahre früher.
Doch wenn die Menschen nicht sesshaft wurden, weil sie Landwirtschaft betreiben wollten — warum begannen sie dann mit dieser komplett neuen Lebensweise? Wir kennen den Grund nicht — das heißt, wir können viele Gründe nennen, aber wir wissen nicht, ob einer davon richtig ist. Felipe Fernández-Armesto behauptet, es gebe mindestens achtunddreißig Theorien, die erklären, warum die Menschen in festen Siedlungen zu leben begannen: Manche besagen, sie seien durch Klimaveränderungen dazu gezwungen oder von dem Wunsch getrieben worden, bei ihren Toten zu bleiben; andere, dass sie das übermächtige Bedürfnis verspürten, Bier zu brauen und zu trinken, und dass das nur möglich gewesen sei, wenn man an einem Ort blieb. Eine offenbar ernsthaft vorgebrachte These (die Jane Jacobs in ihrem grundlegenden Werk von 1969, Die Ökonomie der Städte, zitiert) lautet, dass »zufällige Schauer« kosmischer Strahlen Mutationen verursachten, die das Gras veränderten und plötzlich zu einer leckeren Nahrungsquelle machten. Die kurze und bündige Antwort dazu: Niemand weiß, warum sich die Landwirtschaft überhaupt und in dieser Weise entwickelte.
Nahrung aus Pflanzen zu gewinnen ist ungeheuer schwierig. Die Verwandlung von Weizen, Reis, Mais, Hirse, Gerste und anderen Gräsern in Grundnahrungsmittel ist eine der großen, wirklich erstaunlichen Leistungen der Menschheit. Betrachten Sie doch nur den Rasen vor Ihrem Fenster, und Sie sehen sofort, dass das Gras dort für uns Nichtwiederkäuer als Futter nicht in Frage kommt. Gras kann man für Menschen überhaupt nur mit viel Findigkeit zum Verzehr geeignet machen. Nehmen Sie Weizen. Weizen kann man erst essen, wenn man ihn zu etwas viel Komplexerem und Anspruchsvollerem verarbeitet hat wie zum Beispiel Brot, und das kostet keine geringe Mühe. Man muss die Körner herauslösen,
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