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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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fröhlich die Fundstätte und nahm, Gott weiß was, als Souvenir mit — furchtbar!
    Intensiver beschäftigte man sich nicht mit dem Steinzeitdorf. Doch als 1924, auch wieder in einem Sturm, ein Teil eines Hauses ins Meer gespült wurde, begriff man, dass man den Ort wohl besser absichern und von Fachleuten begutachten lassen sollte. Den Job bekam ein in Australien geborener, interessant schräger, brillanter marxistischer Professor der Universität von Edinburgh, der Feldforschung hasste und nur hinausging, wenn er unbedingt musste. Er hieß Vere Gordon Childe.
    Childe war kein ausgebildeter Archäologe. Das waren Anfang der 1920er Jahre nur wenige Leute. Während seines Studiums der Altphilologie und Philosophie an der Universität von Sydney entwickelte er eine leidenschaftlich tiefe und bleibende Liebe zum Kommunismus, die ihn für die Exzesse Josef Stalins lange blind, seine archäologischen Theorien aber interessant und überraschend lebendig machte. 1914 kam er nach Oxford, wo er sich dem Studium der frühen Völker widmete und zur führenden

    Autorität auf diesem Feld wurde. 1927 ernannte ihn die Universität von Edinburgh zum neu geschaffenen Abercrombie Professor der Prähistorischen Archäologie. Damit war er der einzige akademisch bestallte Archäologe Schottlands, und wenn Stätten wie Skara Brae untersucht werden mussten, rief man natürlich ihn herbei. Im Sommer 1927 brach er per Bahn und Schiff gen Norden auf, zu den Orkney Inseln.
    Fast alle Zeitgenossen, die Childe beschrieben haben, widmeten sich beinahe liebevoll seinem merkwürdigen Gebaren und sonderbaren Aussehen. Sein Kollege Max Mallowan (der, wenn überhaupt, der Nachwelt als zweiter Gatte Agatha Christies bekannt ist) meinte, Childe habe ein »so hässliches Gesicht, dass es einem wehtat, es anzuschauen«. Ein anderer Kollege erinnerte sich an Childe als »groß, ungelenk und hässlich, exzentrisch gekleidet und abrupt in seiner Art, eine seltsame, oft beunruhigende Persönlichkeit«. Gewiss, die wenigen erhaltenen Fotos Childes bestätigen, dass er keine Schönheit war — dürr und kinnlos, Eulenaugen hinter großen Brillengläsern und ein Schnauzbart, der aussah, als werde er jeden Moment lebendig und davonkriechen —, doch die Leute mochten noch so Unfreundliches über das äußere Erscheinungsbild seines Kopfes sagen — das Innere war eine Schatzkammer. Childe hatte ein wunderbar aufnahmefähiges Gedächtnis und eine außergewöhnliche Sprachbegabung. Er las mindestens ein Dutzend lebender und toter Sprachen, so dass er zu jedem Thema, das ihn interessierte, sowohl alte als auch moderne Texte durchforsten konnte—und es gab kaum Themen, die ihn nicht interessierten. Die Mischung aus schrägem Aussehen, nuscheligem Sprechen und Schüchternheit, körperlicher Unbeholfenheit und geradezu überwältigender Intelligenz war eben mehr, als viele Leute ertragen konnten. Ein Student erinnerte sich, wie Childe sich an einem eigentlich geselligen Abend in einem halben Dutzend Sprachen an die Anwesenden wandte, demonstrierte, wie man mit römischen Ziffern schriftlich dividierte, sich kritisch über die chemischen Methoden zur Altersbestimmung von Bronzezeitfunden ausließ und des Langen und Breiten aus einer Unzahl klassischer Dichtungen in der Originalsprache zitierte. Viele Leute fanden ihn einfach nervig.
    Das Ausgraben selbst interessierte ihn, gelinde gesagt, nicht die Bohne. Beinahe ehrfürchtig bemerkte sein Kollege Stuart Piggott, dass Childe »unfähig ist, archäologisches Beweismaterial im Feld zu würdigen und die Vorgehensweise zu beachten, wie man es birgt, erkennt und interpretiert«. Fast alle Bücher Childes basieren auf Lektüre und nicht auf persönlicher Erfahrung. Selbst die vielen Sprachen beherrschte er nur eingeschränkt. Er konnte sie zwar einwandfrei lesen, bediente sich aber beim Sprechen einer selbstgemachten Aussprache, so dass ihn niemand, der die Sprache konnte, verstand. Als er in Norwegen einmal seinen Kollegen imponieren wollte und sich an der Bestellung von Himbeeren versuchte, bekam er zwölf Bier.
    Ungeachtet seines kuriosen Aussehens und Verhaltens trieb er die Sache der Archäologie voran. Im Verlaufe von dreieinhalb Jahrzehnten verfasste er sechshundert Artikel und Bücher, sowohl populäre als auch wissenschaftliche, unter anderem die Bestseller Triebkräfte des Geschehens: Die Menschen machen ihre Geschichte selbst (1936, dt. 1949) und Stufen der Kultur: Von der Urzeit zur Antike (1942, dt. 1952),

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