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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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beschließen, hatte offenbar niemand. Leute, die im achtzehnten Jahrhundert London besuchten, erzählten, dass die Geschäfte bis zehn Uhr abends geöffnet seien, und das wären sie sicher nicht gewesen, wenn Menschen nicht noch eingekauft hätten. Hatte man Gäste, servierte man das Abendessen gewöhnlich um zehn Uhr, und die ganze Gesellschaft blieb bis Mitternacht oder später beisammen. Einschließlich der Gespräche vorher und der Musik nachher konnte eine Abendgesellschaft bis zu sieben Stunden und länger dauern. Bälle dauerten oft bis zwei, drei Uhr morgens, dann wurde noch ein Essen serviert. Die Leute gingen so gern aus und blieben lange auf, dass sie sich durch fast nichts davon abhalten ließen. 1785 schrieb eine Louisa Stewart ihrer Schwester, den französischen Botschafter habe »der Schlagfluss« getroffen, doch die Gäste seien trotzdem gekommen und »hätten Karten gespielt etc., als habe er nicht im Nebenzimmer im Sterben gelegen. Wir sind ein komisches Volke.
    Sich draußen zurechtzufinden war allerdings viel schwieriger als heute, weil es so dunkel war. In sehr finsteren Nächten stieß ein daherstolpernder Fußgänger leicht »mit dem Kopf an einen Pfosten« oder erlebte andere schmerzliche Überraschungen. Man musste sich den Weg durch das Dunkel ertasten, doch manchmal tastete man auch einfach nur blind darin herum. In London war 1763 die Beleuchtung immer noch so schlecht, dass James Bosswell auf der Westminster Bridge mit einer Prostituierten Sex I laben konnte, wohl kaum der privateste Ort für ein solches Unterfangen. Die mangelnde Helligkeit barg aber auch Gefahren Ober die genannten hinaus. Allenthalben trieben Diebe ihr Unwesen, und im Jahre 1718 bemerkte eine Londoner Behörde, die Menschen schreckten oft davor zurück, abends und nachts hinauszugehen, weil sie Angst hätten, sie würden »geblendet, niedergeschlagen, erstochen oder erdolcht«. Um nicht irgendwo gegenzuknallen oder von Räubern überfallen zu werden, heuerten sich die betuchten Stadtbewohner Jungs an, die Fackeln aus kräftigen, in Harz getauchte Seilstücken oder einem anderen brennbaren Material vor ihnen hertrugen und sie heil nach Hau- NC brachten. Leider konnte man den Knaben auch nicht immer trauen; manche führten ihre unglücklichen Kunden in dunkle, einsame Gassen, wo sie oder ihre Kumpane sie um Geld oder S eidenklamotten erleichterten.
    Selbst als in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts schon viele Straßen mit Gas beleuchtet wurden, war die Welt nach Einbruch der Nacht immer noch recht zwielichtig. Selbst die hellsten Gaslampen in den Straßen gaben weniger Licht als eine moderne 25-Watt-Birne. Darüber hinaus standen sie weit auseinander. Knapp dreißig Meter Düsternis lagen im Allgemeinen zwischen ihnen, doch auf manchen Straßen in London, zum Beispiel der King's Road in Chelsea, gut sechzig Meter, so dass die Lampen weniger den Weg beleuchteten, als vielmehr weit voneinander entfernte mäßig helle Punkte darstellten, die man zu erreichen versuchte. In manchen Stadtteilen überdauerten die Gaslampen sehr lange. Noch in den 1930er Jahren hatte fast die Hälfte der Londoner Straßen Gasbeleuchtung.
    Wenn überhaupt etwas die Menschen in der Zeit ohne elektrisches Licht früh ins Bett trieb, dann war es nicht Langeweile, sondern Erschöpfung. Viele Menschen hatten einen unendlich langen Arbeitstag. Ein elisabethanisches »Statut für Handwerker« legte 1563 fest, dass alle Handwerker, Gehilfen und Lehrburschen »um oder vor fünf Uhr morgens fleißig bei der Arbeit seyn oder fleißig fortfahren mussten und nicht weggehen durften und bis sieben oder acht Uhr bei Nacht weiterarbeiten mussten«, was eine Vierundachtzig-Stunden-Arbeitswoche bedeuten konnte. Andererseits aber sollte man sich vor Augen halten, dass ein typisches Londoner Theater wie Shakespeares Globe zweitausend Zuschauer fasste, ungefähr ein Prozent der Londoner Einwohnerschaft, von denen viele einer Arbeit nachgingen, und dass es zu der Zeit auch noch andere Theater sowie Unterhaltungsmöglichkeiten wie Bärenhatzen und Hahnenkämpfe gab. Was auch immer das Gesetz verfügte — an einem x-beliebigen Tag waren ganz offensichtlich mehrere Tausend Londoner eindeutig nicht an ihren Werkbänken, sondern gingen aus und amüsierten sich.
    Die Industrielle Revolution und das Aufkommen des Fabriksystems sorgten dann aber dafür, dass die langen Arbeitstage penibelst eingehalten wurden. In den Fabriken mussten die Arbeiter nun montags bis freitags

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