Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
mit welcher Geschwindigkeit sie fuhren.
Seit dem Mittelalter war Großbritannien nicht mehr so dunkel gewesen, und die Konsequenzen waren laut und heftig. Um nicht mit dem Bordstein und allem, was dort geparkt stand, zu kollidieren, fuhren Fahrzeuge praktisch in der Mitte. Sie packten sich die weiße Linie zwischen die Räder, was ja auch in Ordnung war, bis sie einem anderen Fahrzeug begegneten, das das Gleiche tat, nur von der anderen Richtung her. Fußgänger befanden sich in ständiger Bedrängnis, weil die Bürgersteige mit den Laternenpfählen, Bäumen, Briefkästen, Bänken und Telefonzellen sie zum Hindernislauf zwangen, und Straßenbahnen, respektvoll »die stille Gefahr« genannt, besonders unheilvoll waren. »Während der ersten vier Kriegsmonate«, berichtet Juliet Gardiner in Kriegszeiten, »kamen auf britischen Straßen 4133 Menschen um« — doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Fast drei Viertel der Opfer waren Fußgänger. Das British Medical ,Journal bemerkte trocken, die deutsche Luftwaffe habe schon über sechshundert Menschen pro Monat umgebracht, ohne eine einzige Bombe abzuwerfen.
Gott sei Dank beruhigte sich das Ganze bald, und die Menschen durften wieder ein wenig Licht in ihr Leben lassen — gerade so viel, dass das Blutbad auf den Straßen aufhörte —, aber es war eine heilsame Erinnerung daran, wie sehr man sich schon daran gewöhnt hatte, dass alles immer schön hell war.
Wir vergessen nämlich leicht, wie ungeheuer trübe die Welt vor der Elektrizität war. Eine Kerze — eine gute Kerze — verströmt gerade mal ein Hundertstel der Helligkeit einer einzigen Hundertwatt-Birne. Wenn Sie Ihre Kühlschranktür öffnen, leuchtet mehr Licht, als die meisten Haushalte im achtzehnten Jahrhundert insgesamt hatten. Ja, und bei Nacht war die Welt bis in die jüngste Zeit hinein sehr, sehr dunkel.
Sozusagen erhellend ist, wenn wir lesen, was damals als opulent betrachtet wurde. Da wunderte sich zum Beispiel ein Nomini Hall, zu Gast auf einer Plantage in Virginia, in seinem Tagebuch, wie das Esszimmer bei einem Festmahl »strahlte und glänzte«, denn es brannten sieben Kerzen — vier auf dem Tisch und drei an anderen Stellen im Raum, für Nomini Hall eine wahre Festbeleuchtung.
Ungefähr zur gleichen Zeit fertigte auf der anderen Seite des Ozeans in England ein begabter Amateurzeichner namens John Harden eine Reihe bezaubernder Bilder an, die das Familienleben bei ihm zu Hause, in Brathay Hall in Westmorland, porträtierten. Auffallend ist, wie wenig Helligkeit die Familie erwartete oder brauchte. Auf einer typischen Zeichnung sehen wir vier Fa-
milienmitglieder, die beim Schein einer einzigen Kerze gemütlich beieinander am Tisch sitzen und nähen, lesen und sich unterhalten, und es sieht gar nicht so aus, als verrenkten sie sich verzweifelt die Hälse, um ein kleines bisschen Licht abzubekommen. Die Radierung »Student am Tisch bei Kerzenlicht« von Rembrandt kommt der Realität wahrscheinlich näher. Ein Jüngling sitzt an einem Tisch, kaum zu sehen in den tiefen Schatten, die der Schein einer einzigen Kerze an der Wand neben ihm nicht im Geringsten durchdringen kann. Aber der Jüngling liest trotzdem ein Buch. Die Menschen kamen eben mit trüben Abenden zurecht, weil sie C8 nicht anders kannten.*
Die landläufige Meinung, dass die Menschen in der vorelektrischen Welt bei Einbruch der Nacht zu Bett gingen, scheint auf der Annahme zu beruhen, dass sich jeder, der es nicht strahlend hell hatte, aus lauter Frustration schlafen legte. Aber allem Anschein
Die Franzosen hatten laut Roger Ekirch ein lustiges Sprichwort, das ich hier ohne weiteren Kommentar zitiere: »Bei Kerzenlicht sieht eine Ziege wie eine Dame aus.«
nach war das gar nicht so — neun oder zehn Uhr scheint für die meisten normal gewesen zu sein, und in den Städten wurde es oft auch später. Wer seine Arbeitszeiten selbst bestimmen konnte, ging schlafen oder stand auf, wann immer er wollte. Die genaue Uhrzeit hatte offenbar wenig mit dem Licht zu tun, das die Menschen zur Verfügung hatten.
Samuel Pepys schreibt in seinem Tagebuch, dass er mal um vier Uhr morgens aus den Federn kroch oder um vier Uhr nachts zu Bett ging. Samuel Johnson war berühmt dafür, dass er, wenn er nur irgend konnte, bis Mittag im Bett blieb (meist konnte er). Der Schriftsteller und Essayist Joseph Addison stand im Sommer jeden Morgen um drei Uhr (und manchmal noch früher) auf, im Winter erst um elf. Eile, den Tag zu
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