Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser
im Staat
großen Einfluss besaßen. Die Christen kamen nicht mehr in unterirdischen Räumen
zusammen, sondern in prächtigen, säulengeschmückten Kirchen, und das Kreuz, das
Zeichen der Erlösung im Leiden, wurde als Kriegszeichen den Legionen
vorangetragen.
Das Gewitter
Hast du schon an heißen Sommertagen ein Gewitter
aufziehen sehen? Besonders im Gebirge ist das großartig. Erst sieht man gar
nichts, aber man fühlt an der eigenen Müdigkeit, dass etwas in der Luft liegt.
Dann hört man es donnern. Einmal dort und einmal da. Man weiß nicht recht, von
wo es kommt. Dann sehen die Berge mit einem Mal so unheimlich nah aus. Kein
Lufthauch rührt sich, und doch steigen geballte Wolken auf. Die Berge
verschwinden fast hinter einer Dunstwand. Die Wolken rücken von allen Seiten
näher, aber man spürt keinen Wind. Es donnert häufiger. Alles sieht drohend und
gespenstisch aus. Man wartet und wartet. Plötzlich geht es dann los. Das ist
zuerst fast wie eine Erlösung. Der Sturm fährt ins Tal. Es blitzt und kracht
von allen Seiten. Der Regen prasselt in dicken, schweren Tropfen. Im engen
Talkessel hat sich das Gewitter gefangen. Das Echo an den Felswänden lässt den
Donner weiterhallen. Der Wind kommt von dort und von da. Wenn es sich dann
verzieht und endlich eine klare stille Sternennacht kommt, wirst du schwer
erzählen können, wo überall Gewitterwolken waren und welcher Donner zu welchem
Blitz gehört hat.
Ganz ähnlich ist es mit der Zeit, von der ich jetzt erzählen soll. Damals
ging das Gewitter los, das das römische Weltreich zerschlagen hat. Donnern
haben wir es ja schon gehört: Das waren die Wanderungen der Germanen an der
Grenze, der Einfall der Cimbern und Teutonen, die Kriege, die Cäsar, Augustus,
Trajan, Marc Aurel und viele andere gegen germanische Stämme führen mussten, um
sie am Einbruch ins Römerreich zu hindern.
Aber jetzt kam der Sturm. Er begann in weitester Ferne, beinahe am
Wall, den einst Kaiser Qin Shi Huangdi, der Feind der Geschichte, errichtet
hatte. Seit die asiatischen Reiterhorden der Steppe nicht mehr in China
plündern konnten, wandten sie sich nach Westen, um dort Beute zu holen. Das
waren die Hunnen. Solche Völker hatte man im Westen noch nie gesehen. Kleine
gelbe Menschen mit Schlitzaugen und schrecklichen Narben im Gesicht. Es waren
Pferdemenschen, denn sie stiegen fast nie von ihren kleinen schnellen Pferden,
sie schliefen sogar oft zu Pferde, sie berieten zu Pferde, sie aßen zu Pferde
und ritten sich das rohe Fleisch, das sie aßen, unter den Sätteln mürbe. Sie
griffen mit furchtbarem Geheul im rasenden Galopp an und schossen ganze Wolken
von Pfeilen auf ihre Feinde, dann machten sie kehrt und sausten davon, als
wollten sie fliehen. Setzte man ihnen nach, so wandten sie sich im Sattel um
und schossen rücklings auf ihre Verfolger. Sie waren flinker, listiger und
blutdürstiger als alle Völker, die man gesehen hatte. Sie trieben sogar die
tapferen Germanen vor sich her.
Ein Stamm dieser Germanen, die Westgoten, wollte sich in das sichere
Römische Reich retten. Man nahm sie dort auch auf. Aber bald brach eine
Hungersnot aus, und es kam zum Kampf mit den Gästen. Die Westgoten zogen nach Athen
und plünderten es, sie zogen vor Konstantinopel, und schließlich setzte sich das
ganze Volk in Bewegung und zog unter seinem König Alarich im Jahre 410 nach Christus
nach Italien und eroberte Rom. Als Alarich starb, zogen sie nach Norden, erst
nach Gallien und dann weiter nach Spanien, wo sie blieben. Um sich vor ihren Heeren
zu schützen, hatten die Römer viele Truppen aus den Grenzfestungen von Gallien und
Britannien, vom Rhein und von der Donau abberufen müssen. So drangen dort nun die
vielen Germanenstämme ein, die jahrhundertelang auf diesen Augenblick gewartet hatten.
Es waren zum Teil Völkerschaften mit Namen, die du heute noch auf
der Landkarte von Deutschland findest: Schwaben, Franken, Alemannen. Sie zogen
alle mit ihren knarrenden Ochsenwagen, mit Weib und Kind, mit Hab und Gut über
den Rhein, kämpften und siegten. Wenn sie geschlagen wurden, so waren immer
neue Völker hinter ihnen, die dann doch siegten. Ob Tausende erschlagen wurden,
spielte keine Rolle; Zehntausende kamen nach. Diese Zeit heißt die der
Völkerwanderung. Es ist das Gewitter, das das Römische Reich aufgewirbelt und
zerstört hat. Denn die germanischen Stämme blieben auch nicht in Frankreich und
Spanien. So zogen die Vandalen durch Italien über Sizilien nach Afrika. Dort,
im alten
Weitere Kostenlose Bücher