Eine Lady nach Maß
nicht ganz ehrlich war. „Gut, sie sollen nicht nur zufrieden sein, sie sollen begeistert sein“, gab sie zu. „Ich wünsche mir, dass sie von meinen Kleidern und meinem Können schwärmen. Hilf mir, meinen Stolz nicht groß werden zu lassen, und erinnere mich immer wieder daran, dass ich nur aus deiner Gnade leben kann. Danke, dass du –“
Ein leises Klopfen ertönte an der Tür und unterbrach ihr Gebet. Hannahs Herz schlug schneller. Rasch legte sie die Bibel beiseite und sprang auf. Im Stillen schickte sie ein Amen himmelwärts und ging zur Tür.
Sie öffnete und sah vor sich eine weichere, rundere weibliche Version von Mr Tucker. Das braune Haar der jungen Frau war zu einem schlichten Knoten zusammengesteckt und von einer Haube bedeckt, die eher zu einem kleinen Mädchen gepasst hätte. An dem braunen Kleid befanden sich keine Rüschen oder andere Verzierungen. Doch das Lächeln auf dem schüchternen Gesicht und der Duft von frisch Gebackenem, der aus dem Korb aufstieg, den die Besucherin am Arm trug, sorgten dafür, dass Hannah sich in ihrer Gegenwart sofort wohlfühlte.
„Sie müssen Miss Tucker sein. Kommen Sie herein! Ich habe mich schon darauf gefreut, Sie kennenzulernen.“
Die Wangen der jungen Frau wurden rot und sie senkte unsicher ihren Blick, doch ihr Lächeln wurde breiter, als sie über die Schwelle trat. „Danke, Miss Richards. Ich bringe Ihre Milch und habe auch noch ein paar meiner Apfelmuffins dazugelegt.“
„Wie aufmerksam. Sie riechen köstlich. Ich hoffe, Sie hatten nicht zu viel Arbeit damit.“ Hannah nahm die Kanne mit der Milch entgegen und stellte sie auf den Herd, während Miss Tucker in Servietten gewickelte Muffins hervorzauberte. Hannah entdeckte in dem Korb ein paar Laibe frischen Brotes und weitere Muffins, bevor die junge Frau das Tuch wieder darüberlegte.
„Ich verkaufe Gebackenes in Mr Hawkins‘ Laden. Es war überhaupt kein Umweg, hier kurz vorbeizukommen.“
„Ach, auch eine Geschäftsfrau.“ Hannah nahm einen Muffin entgegen und roch daran. „Und wenn er genauso gut schmeckt, wie er riecht, werden Sie damit großen Gewinn erzielen.“
Miss Tucker schüttelte den Kopf. „Ich bin keine wirkliche Geschäftsfrau. Nicht so wie Sie, mit einem Geschäft und allem.“ Ihre Wangen waren wieder rot geworden.
Hannah betrachtete ihre Besucherin genauer. Sie hatte schöne Züge. Lange, dunkle Wimpern, eine gerade Nase, volle Lippen. In ihrem Kleid wirkte sie ein wenig plump, aber Hannah würde das mit dem richtigen Schnitt und einem guten Stoff schnell beheben können. Wenn sie sie nur dazu bewegen könnte, dieses nichtssagende Braun abzulegen und sich eher für ein Dunkelrosa oder ein Pfauenblau zu entscheiden …
„Mir macht es einfach Spaß zu backen, das ist alles.“ Miss Tucker unterbrach Hannahs abschweifende Gedanken. „J.T. verdient genug für uns beide, aber nach allem, was er für mich getan hat, bin ich froh, wenn ich ihn ein bisschen unterstützen kann.“
„Ich weiß, was Sie meinen. Ich schicke meiner Mutter immer noch Geld, wenn ich die Möglichkeit dazu habe. Sie lebt bei meiner jüngeren Schwester und deren Mann im Osten und hat immer Angst, ihnen eine Last zu sein. Was sie natürlich nicht ist. Emily liebt es, unsere Mutter um sich zu haben, vor allem jetzt, wo ihr Baby unterwegs ist.“
„Ihre Familie lebt im Osten?“ Miss Tucker betrachtete sie neugierig. „Wie kommt es dann, dass Sie hier in Texas sind?“
Hannah lächelte, als sie die Bibel auf das Fensterbrett legte und ihrem Gast bedeutete, auf einem der Koffer Platz zu nehmen. Sie nahm der jungen Frau den Korb ab und stellte ihn auf den Boden.
„Als ich sechzehn Jahre alt war, hat meine Mutter für mich eine Ausbildung bei einer Schneiderin in Boston arrangiert, nicht weit weg von unserem Zuhause in Dorchester. Nach drei Jahren war ich zur rechten Hand meiner Chefin aufgestiegen, doch dann heiratete meine Arbeitgeberin den Bruder einer Kundin. Es war ein wahrer Skandal, obwohl wir Mädchen es alle romantisch fanden.“
„Hat sie nach der Hochzeit nicht weitergearbeitet?“
Hannah schüttelte den Kopf, während sie Kartoffeln aus einer Kiste nahm und diese dann umdrehte, um sich ebenfalls zu setzen.
„Nein. Ihr Ehemann wollte nichts davon hören, dass sie weiterarbeitete, also musste sie ihr Geschäft schließen. Uns Mädchen hat das schwer getroffen, weil wir alle arbeitslos wurden. Ich hätte mich in einem anderen Geschäft als Schneiderin in der Ausbildung bewerben
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