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Eine Lady nach Maß

Eine Lady nach Maß

Titel: Eine Lady nach Maß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Witemeyer
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anzulegen, wäre er wahrscheinlich sofort nach Hause gegangen und hätte seine Axt geholt. Aber natürlich hatte sie das nicht getan. Ihre Bitte hatte lediglich ihre große Charakterstärke widergespiegelt. Im Gegensatz zu dem, was er wochenlang von ihr gedacht hatte. Was war er doch für ein Dummkopf gewesen.
    Er war, nachdem sie ihm den Zettel zugesteckt hatte, noch bei den Pferden geblieben, bis er sicher war, dass er wirklich allein war. Nachdem endlich die letzten Nachzügler in der Kirche verschwunden waren, hatte er sich hinter einen Einspänner gesetzt und mit klopfendem Herzen den Zettel auseinandergefaltet. Ihre Schrift schwang sich verschnörkelt über die Seite, passend für jemanden, der so kreativ war wie sie. Doch während er las, erfüllte ihn eine seltsame Enttäuschung. Die Worte waren freundlich, aber nicht so vertraut, wie er sich erhofft hatte. Was natürlich vermessen war. Warum sollte sie ihm ihre Gefühle auf einem kleinen Zettel gestehen, wenn er ihr nie auch nur den kleinsten Hinweis gegeben hatte, dass er sie mochte? Trotzdem las er sich ihre Botschaft noch einmal durch – nur weil sie sie geschrieben hatte.
    Jericho,
    bitte erwähne meinen Unfall am Fluss Ezra gegenüber nicht. Ich fürchte, dass er sich dann die Schuld dafür gibt, obwohl man es außer mir niemandem vorwerfen kann. Ich habe die Situation falsch eingeschätzt. Ich bin sicher, dass es noch Fragen nach den Schäden am Wagen geben wird, und werde natürlich dafür aufkommen. Ich bitte dich nur darum, dass du nicht erzählst, wie gefährlich die Situation für mich war, damit Ezra sich keine Sorgen macht.
    Danke,
    Hannah
    Jetzt, wo er in der engen Bank saß, die eher für Kinder als für einen erwachsenen Mann gezimmert worden war, dachte J.T. über ihre Worte nach. Natürlich würde er ihre Bitte erfüllen. Zu Tom hatte er über den Unfall nicht viel gesagt, außer, dass es Hannah gut ging, also war Delia die Einzige, die Bescheid wusste. Zudem war er sowieso der Meinung, dass es keinen Menschen etwas anging, was mit seinem Einspänner passiert war.
    Endlich war die Predigt vorbei und J.T. erhob sich dankbar zum Abschlusslied. Wie immer begleitete Ike Franklin das Lied. Zum ersten Mal konnte er sich bei Gott frei und unbeschwert für Hannahs Ankunft in dieser Stadt bedanken. Schönheit, nicht nur die Schönheit der Welt, sondern auch die der Menschen, war etwas, für das man Gott preisen konnte. Auch wenn dieses Geschenk des Herrn, wie jedes andere auch, von Menschen ausgenutzt werden konnte. Doch Hannah hatte gezeigt, dass sie nicht zu den Menschen gehörte, die das wollten. Ihr Inneres spiegelte die gleiche Schönheit wider, die sie auch nach außen zeigte.
    Doch was sah sie, wenn sie ihn ansah? Wahrscheinlich einen mürrischen Eigenbrötler. J.T. knirschte mit den Zähnen und wünschte sich, er hätte einen Zahnstocher dabei. Er hatte keinen Grund zur Annahme, dass Hannah sich für ihn interessierte. Jedes Mal, wenn er seinen Mund aufmachte, schaffte er es, entweder sie oder ihre Arbeit zu beleidigen.
    Wenn sie ihn brauchte, würde sie vielleicht über seine Sturheit hinwegsehen können, aber diese Frau war so unabhängig und selbstständig, dass sie sich nur selten an ihn wenden würde. Sie war so tatkräftig wie jeder Mann in dieser Stadt. Führte ein eigenes Geschäft. Hängte ihre Regale selbst auf. Rettete sich sogar fast selbst vor einer Springflut. Alles, was er getan hatte, war, sie aus dem Wasser zu ziehen. Hannah brauchte weder sein Geld noch seine Kraft oder seine Fähigkeiten. Alles, was er ihr anbieten konnte, war sein Herz. Aber war das genug? Für seine Mutter war es das nicht gewesen. Und auch wenn Hannah seiner Mutter so wenig ähnelte wie eine Taube einer Klapperschlange, konnte er die Zweifel nicht völlig verdrängen, die an ihm nagten.
    J.T. sagte mechanisch Amen, obwohl er die Worte des Gebetes überhaupt nicht gehört hatte. Im Stillen bat er Gott deswegen um Verzeihung, während um ihn herum die Menschen zu reden begannen. Ike Franklin kam auf ihn zu und begrüßte ihn.
    „Schön, dich zu sehen, J.T.“
    „Guten Morgen, Ike.“
    Ike warf Delia einen kurzen Blick zu und stammelte einen Gruß. Delia lächelte und trat näher an die Männer heran, was Ike noch mehr verunsicherte.
    „Ich habe die Musik heute wieder sehr genossen“, sagte sie.
    „Da-danke, Miss Tucker.“ Ikes Gesicht wurde rot und er reckte seinen Kopf, als sei ihm plötzlich der Kragen seines Hemdes zu eng geworden. „Ich …

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