Eine Lady von zweifelhaftem Ruf
nicht verwinden kann?«
»Wie treffend Sie die Sorgen, die ich in meinem Herzen trage, in Worte fassen.«
Man musste dieser Frau tief in die Augen blicken, um überhaupt zu bemerken, dass sie besorgt war. Doch es stimmte. Er nahm an, dass ihre äußerliche Gemütsruhe eine Maske war. Vielleicht nahm Mrs Joyes sie für Celia und die anderen Frauen in diesem Haus ab.
»Sie hat mehr Enttäuschungen erlebt, als Sie denken, Mrs Joyes. In der Vergangenheit und vielleicht auch vor Kurzem. Es tut mir leid, dass sie nun auch diese ertragen musste, aber ich bin mir sicher, dass sie darüber hinwegkommt.«
»Wie es scheint, kennen Sie sie in dieser Hinsicht besser als ich. Ihre Worte beruhigen mich ein wenig. Wenn ich richtig informiert bin, mussten Sie in Ihrem Leben etwas Ähnliches erleiden und wissen daher, wovon Sie sprechen.«
Das hatte er nicht erwartet. Er wusste nicht, wohin die Unterhaltung mit dieser Frau führen sollte, aber er nahm an, dass er keine Lust hatte, sie auf dieser Reise zu begleiten. »Das habe ich, und ich hätte es ihr erspart, wenn es in meiner Macht gelegen hätte. Genau wie Sie, davon bin ich überzeugt.« Er stellte sein Glas ab. »Nun ziehe ich mich in einen Gasthof zurück. Wenn Sie gestatten, werde ich morgen vorbeischauen, um zu sehen, wie es ihr geht.«
Mrs Joyes betrachtete ihn, während ihre schlanken, langen Finger das Kristallglas hielten. Sie erhob sich und stellte ihr Glas auf das Tablett zurück.
»Es ist weit nach Mitternacht, Mr Albrighton. Erlauben Sie mir, Ihnen hier ein Zimmer anzubieten, um es dem Wirt des Gasthofs zu ersparen, zu einer solch späten Stunde geweckt zu werden. Bitte protestieren Sie nicht. Es macht keine Mühe, und zumindest können wir so etwas für Sie tun, nachdem Sie sich so aufmerksam um unsere liebe Celia gekümmert haben.«
21
Die Vertrautheit ihres alten Bettes tröstete sie. Genau wie das Zimmer, in dem sie fünf Jahre lang gewohnt hatte. Nichts hatte sich seit ihrer Abreise dort verändert. Vielleicht hatte Daphne ja erwartet, dass sie irgendwann zurückkommen würde.
Sie konnte weder dem Haus noch seinen Bewohnern die Schuld daran geben, dass es sich nicht wie die Zufluchtsstätte anfühlte, die sie erwartet hatte. Das Haus hatte sich nicht verändert, ebenso wenig wie die Frauen darin.
Sie selbst war es, die sich verändert hatte. Das musste der Grund dafür sein, dass ihr die Rückkehr nach Middlesex nicht den Trost gespendet hatte, den sie brauchte. Sie war hier ein Kind geblieben, trotz all der weltlichen und praktischen Ratschläge, mit denen die anderen ihr Anerkennung zollten. Denn eigentlich hatte sie überhaupt keine eigene Lebenserfahrung gehabt. Alles, was sie wusste, hatte sie aus den Lektionen ihrer Mutter gelernt.
Doch nun war es anders. Ihre kurze Zeit in London hatte ihre Seele einige bittere Lektionen gelehrt. Die heutige war womöglich die schmerzhafteste gewesen. Sie vermied es nur dadurch, die Erinnerungen an die Erniedrigung wiederaufleben zu lassen, indem sie ihr Bewusstsein in eine dicke schwarze Decke hüllte.
Sie sehnte die totale Flucht durch Schlaf herbei, aber über dem dämpfenden Nebel, in dem sie schwebte, war sie sich des Zimmers und ihrer selbst, des Fensters und des Hauses noch allzu sehr bewusst. Und so hörte sie die Geräusche im Raum neben ihrem.
Sie rissen Celia wieder in die Gegenwart zurück. Roher Schmerz überkam sie, als sie das tat, und fast hätte sie sich wieder zurückgezogen. Doch die Geräusche faszinierten sie. Es handelte sich um Veritys altes Zimmer. War sie ebenfalls zu Besuch? Das hätte Daphne doch bestimmt erzählt.
Vielleicht hatte sie das. Alles, was Daphne gesagt hatte, während sie Celia aus ihrer feuchten Kleidung geschält hatte, war so weit weg gewesen. Fast so, als würde man einer Unterhaltung zuhören, die in einem Nebenzimmer stattfand.
Sie lauschte auf die Geräusche und stellte erleichtert fest, dass sie sich dadurch wieder ein wenig normaler fühlte und dass sie eine willkommene Ablenkung darstellten. Sie fand sie ungemein eigenartig und interessant.
Celia schlug die Decke zurück, ging zur Tür, öffnete sie und sah hinaus. Der Rest des Hauses war still. Weder aus Daphnes Kammer am anderen Ende des Flurs noch aus Katherines Schlafzimmer drang ein Laut.
Sie öffnete die Tür zu Veritys ehemaligem Zimmer. Sie blickte hinein. Erleichterung durchströmte sie, die so groß war, dass es sie fast schmerzte, sie verbergen zu müssen.
Jonathan stand mit nacktem Oberkörper
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