Eine Lady von zweifelhaftem Ruf
wenn ich einfach darauf warte, dass er den ersten Schritt tut.«
Kurz vor einem offenen Wutanfall betrachtete ihn Thornridge abschätzend. »Ihre angedeutete Beschuldigung ist vollkommen absurd. Ich habe keinen Grund, Sie tot sehen zu wollen.«
Natürlich hatte er den. Nichts von dem, was geschehen war, würde Sinn ergeben, wenn dem nicht so war. »Ich hatte vor Kurzem ein langes Gespräch mit Onkel Edward. Vielleicht hat er sich nicht getraut, Ihnen davon zu erzählen. Aber normalerweise informiert er sie, nicht wahr? Über seine Bemühungen in Ihrem Interesse, mich beschäftigt und fern zu halten. Das Kriegsende war in dieser Hinsicht natürlich ungünstig, aber er hat sich als äußerst einfallsreich erwiesen.«
Thornridge versteifte sich merklich. »Er mag erwähnt haben, dass Sie über Talente verfügen, die England nützlich sind. Die Einzelheiten hat er mir erspart.«
»Das liegt daran, dass Sie diese bereits kannten. Übrigens weiß ich nun auch von Alessandra Northropes besonderer Rolle während des Krieges. Und ich weiß auch, dass Sie derjenige waren, der ihr die weiterzuleitenden Informationen gegeben hat.«
»Sie wissen überhaupt nichts.«
»Niemand sonst hatte einen Grund, sie die Informationen über eine Mission weitergeben zu lassen, auf der ich mich befand. Äußerst genaue Informationen. Ich geriet in eine Falle. Ich sollte tot sein. Wer sonst außer Ihnen würde mich tot sehen wollen und dabei noch über Details meiner Mission verfügen, und wer sonst hätte die Möglichkeit gehabt, diese Details dem Feind zu übermitteln?«
»Ich habe keinen Grund dafür, Sie tot sehen zu wollen, also ist Ihre Theorie von Anfang bis Ende unlogisch.«
»Natürlich haben Sie den. Anfangs war ich mir nicht so sicher. Jahrelang dachte ich, dass die Geschichte meiner Mutter von einer auf dem Totenbett geschlossenen Ehe mit meinem Vater erfunden sein könnte. Nun weiß ich, dass es die Wahrheit war.«
Thornridge sah aus, als würde er gleich platzen. Es war nicht nur Wut, die sein Gesicht verzerrte und ihn eine Haltung wie ein Preisboxer einnehmen ließ. Schock und Furcht spielten ebenfalls hinein.
»Sie haben es gewagt, davon zu sprechen, mich zu töten. Sind Sie sich Ihrer Sache so sicher, dass Sie ein Duell riskieren würden? Wenn man Sie wegen Mordes anklagt, wird das, was Sie zu wissen glauben, Sie nicht vor dem Strick retten.«
»Wenn ich zu dem Schluss kommen sollte, dass ich Sie töten muss, warum sollte ich Ihnen dann auf dem Feld der Ehre entgegentreten, wenn Sie sich alles andere als ehrenhaft verhalten haben? Hinterher mögen manche Finger auf mich zeigen, aber ich versichere Ihnen, dass es keine Beweise geben wird.«
Sein Cousin riss die Augen auf. Jonathan war sicher, dass sich der Verstand hinter diesem Erstaunen all die Missionen in Erinnerung rief, bei denen man sich im Namen eines sogenannten Gemeinwohls große moralische Freiheiten genommen hatte.
Währenddessen saß Castleford auf dem Kanapee und grinste teuflisch. Augenscheinlich hatte der Herzog einen Heidenspaß.
Plötzlich erinnerte sich Thornridge an Castlefords Anwesenheit. »Sie haben mir gerade vor einem Zeugen gedroht.«
»Ich habe nur gehört, wie ein Mann im metaphorischen Sinne spricht, Thonridge«, sagte Castleford. »Man sagt doch dauernd solche Dinge. Ich drohe meinem Kammerdiener mindestens einmal am Tag damit, ihn strecken und vierteilen zu lassen.«
»Verdammt, daran war überhaupt nichts Metaphorisches!«
Castleford kniff seine Augen zusammen. »Wenn Sie das glauben, sollten Sie ihm vielleicht anders begegnen. Doch wenn das, was er behauptet, wahr ist, wird eine Entschuldigung wohl unglücklicherweise nicht genügen. Mir würde es jedenfalls nicht ausreichen, sollte ich erfahren, dass jemand versucht hat, meinen Tod zu planen.«
»Das ist die infernalische und haltlose Anschuldigung eines Mannes, der Streit sucht«, stammelte Thornridge. Gereizt begann er, auf und ab zu laufen.
Jonathan ließ seinen Cousin seinen nächsten Schritt abwägen, wie immer dieser aussehen mochte. Castleford gelang es, sich auf dem Kanapee ein wenig zu räkeln, ohne allzu unhöflich zu wirken.
Dann drehte sich Thornridge plötzlich herum. Doch nun trug er einen vollkommen anderen Gesichtsausdruck zur Schau. Einen beschwichtigenden, fast freundlichen.
»Vielleicht war ich ein wenig zu hart. Es war ein Schock, als ich damals von Ihnen erfuhr – eine solche Affäre sah meinem Onkel gar nicht ähnlich. Es besteht nach dem Tod eines
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