Eine letzte Breitseite
Er riß sein Hemd herunter und tupfte damit Alldays Rücken ab. »Es ist alles meine Schuld.«
»Glauben Sie doch so was nicht, Mr. Pascoe! Was Sie gemacht haben, war richtig, und das wissen Sie genau. Sie hätten versteckt bleiben können, dann wären wir wieder unbeschädigt an Bord zurückgekommen.« Er biß die Zähne zusammen, als das blutige Hemd sich von seinem Rücken löste. »Aber viele unserer Kameraden hätten dafür teuer bezahlen müssen.«
Dann warfen die Reiter ihre Pferde herum, ein Matrose schrie unter einem Peitschenhieb schmerzlich auf. Es ging weiter auf dem steinigen Weg, mit blutenden Füßen und verdorrten Lippen.
Allday starrte den Reiter an, der sich an die Spitze gesetzt hatte; jetzt war ihm etwas wohler: er hatte jemanden, den er hassen konnte. Und wenn er die geringste Chance bekam, würde dieser Hundesohn es zu fühlen kriegen. Er drehte sich nach Pascoe um – pfui Teufel, wie das weh tat! Der Leutnant schritt an der Spitze einer kleinen Gruppe, die Zähne vor Schmerz zusammengebissen, die dunklen Augen in die Ferne gerichtet. Bei Gott, dachte er, Old Dick wäre stolz auf ihn. Wenn er nur hier sein und ihn sehen könnte.
Die Luft in der Kajüte der
Lysande
r
war schwer und drückend. Bolitho glättete die Karte mit den Händen und starrte minutenlang darauf nieder. Er war erst seit einer knappen Stunde wieder an Bord und hatte sich noch nicht umgezogen; sein Kinn war rauh vor Bartstoppeln.
Durch die dickglasigen Fenster sah er undeutlich den stampfenden Rumpf und die etwas gerefften Segel der
Osiris
,
die gehorsam im Kielwasser der
Lysande
r
folgte; der andere Zweidecker segelte dahinter.
Farquhar und Probyn saßen Bolitho am Tisch gegenüber, während Herrick dicht neben ihm stand und besorgt auf Messingzirkel und Lineal starrte, mit denen Bolitho auf der Karte hantierte.
»Auf dem Schoner, den Captain Javal vorgestern genommen hat, gab es auch sonst allerhand Interessantes«, sagte Bolitho. »Er war nach Toulon unterwegs; doch an Bord fand sich der Brief an den Kapitän eines anderen, vermutlich größeren Schiffes, das etwa hier liegen muß –«, er tippte mit dem Zirkel auf die Küstenlinie –, »etwa vierzig Meilen südwestlich von Cartagena. Das ist eine kleine, als Fischereihafen benutzte Bucht, die jetzt aber wahrscheinlich spanischen Transportschiffen als Ankerplatz dient.« Die Zirkelspitze wanderte die Küste entlang zum Golfe du Lyon. »Überall an dieser Küste müssen solche Schiffe liegen und auf Kriegsmaterial für Bonapartes Armee warten. Mit Sicherheit bereitet er eine Invasion vor.«
»Was beabsichtigen Sie, Sir?« fragte Herrick.
»Hätte ich früher gewußt, was in jenem Brief steht, hätte ich den Schoner hierbehalten und gegen die Spanier eingesetzt.« Bedächtig tippte er mit dem Zirkel auf die Karte. »Aber das macht nichts. Die Dons können noch nicht wissen, daß wir ihn genommen haben. Es bleibt also noch Zeit.«
»Falls nicht jemand vom Landungskommando in Gefangenschaft geraten ist, Sir«, warf Probyn unverblümt ein, »und
gezwungen
worden ist, unsere Pläne und unseren Auftrag zu verraten.«
»Reden Sie doch nicht solchen Unsinn!« fuhr Herrick wütend dazwischen.
»Nein, Thomas.« Bolitho blickte ihn unbewegt an. »Das ist eine Möglichkeit. Wir müssen sie in Betracht ziehen.«
Herrick konnte seinen Blick nicht von dem zerbrochenen Degen losreißen, der auf Bolithos Schreibtisch lag. »Es fällt mir schwer, Sir«, sagte er.
»Ich weiß. Auch Ihnen steht er ja nahe«, erwiderte Bolitho und sah ihn an. Dann wandte er sich ab und zwang sich, seiner Gefühle Herr zu werden.
Steht
.
Nicht
stand.
Präsens, nicht Imperfekt.
Er sah die anderen Kommandanten an. »Wir müssen ein neues Überraschungsmoment schaffen. Angreifen, rekognoszieren, möglichst viel über die Stärke des Feindes erfahren, ihn dort treffen, wo er es am wenigsten erwartet.«
Farquhar nickte langsam. »Wenn wir diesen Transport angreifen, Sir, und uns dann in Gegenrichtung entfernen, wird der Feind nicht aus uns klug und kann sich kein Bild über unsere Absichten machen.«
»Genau«, erwiderte Bolitho. »Eben das habe ich von den Franzosen gelernt, und zwar teuer gelernt: Ein entschlossenes Geschwader kann eine ganze Flotte lahmlegen.«
Stille senkte sich über den Tisch. Schließlich sagte Probyn: »Vielleicht schicken uns die Dons ein paar Schiffe von Cartagena entgegen. Der Seeraum hier ist ein bißchen knapp für Ihr Vorhaben.«
»Captain Javal gibt uns
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