Eine Liebe auf Korfu
Verwirrung zu überspielen.
„Ist das alles?“ Er wartete, während der Kellner Alessas Orangensaft servierte. Dann fuhr er fort: „Ich hatte gehofft, Sie würden meinen Knöchel massieren.“
Auf diese Herausforderung ging sie nicht ein. „Eigentlich sollte ich nicht hier sitzen. Wollten Sie etwas Bestimmtes mit mir besprechen, Sir?“
Benedict ignorierte die Frage. „Warum nicht? Es ist doch sicher respektabel, wenn eine Dame dieses Café besucht. Fürchten Sie, ich würde Sie kompromittieren?“
Als sie seine sorgenvolle Miene sah, musste sie lachen. „Natürlich ist das ein respektables Lokal. Und darin liegt das Problem – ich bin keine Dame. Deshalb dürfte ich nicht hier sitzen.“
„Unsinn!“, protestierte er in so scharfem Ton, dass sie zusammenzuckte. „Verzeihen Sie, aber Sie sind ganz offensichtlich eine Dame, nämlich die Tochter eines Offiziers.“
Seufzend strich sie über ihre bestickte Bluse und wies auf den Korb unter dem Tisch. „Ich kleide mich nicht wie eine Dame. Und ich arbeite, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Männer, die uns beobachten, werden vielleicht gewisse Schlüsse aus unserer Diskussion ziehen – und glauben, wir würden den Preis aushandeln.“
Wie sarkastisch sie ihn an seinen beleidigenden Irrtum erinnerte! „Verdammt“, fluchte er leise und ließ einen ärgerlichen Blick durch die Arkaden schweifen. Mit erhobener Stimme fügte er hinzu: „Wenn hier jemand dumm genug ist, Interesse an meinem Verhalten zu bekunden – ich würde sehr gern mit ihm darüber reden.“
Stuhlbeine scharrten, Papier raschelte, und Alessa, die den anderen Tischen den Rücken zuwandte, nahm an, dass die Männer sich hinter ihren Zeitungen verschanzten.
„Habe ich mich schon für meinen Trugschluss entschuldigt?“, fragte Benedict und lächelte reumütig.
„Angesichts der Tatsachen haben Sie nicht mehr daran geglaubt. Das genügt mir. Natürlich hätte ich mir denken können, welchen Eindruck Sie gewinnen würden, als diese Männer in mein Schlafzimmer gingen. Aber ich bin schon so lange daran gewöhnt, auf eigenen Füßen zu stehen. Vor niemandem muss ich mich rechtfertigen.“
„Und Sie müssen sich auch nicht verteidigen, weil Sie arbeiten. Eigentlich dürften Sie nicht dazu gezwungen werden.“
„Soll ich, nur weil ich die Tochter eines englischen Offiziers bin, untätig herumsitzen und Romane lesen? Dann würden meine Kinder und ich bald verhungern, Sir.“
„Bitte, nennen Sie mich Benedict. Selbstverständlich meine ich nicht, dass Sie vor lauter Stolz verhungern sollen. Ich finde nur – wenn Sie Ihre Familie finden, müssten Sie sich nicht mehr so schrecklich abrackern.“
Erbost runzelte sie die Stirn. „Warum sollten meine Ver wandten den Wunsch hegen, mich zu ernähren? Papa war ein extravaganter Sonderling, Maman eine ausländische Witwe, zwei Jahre älter als er. Zu allem Überfluss stammte sie auch noch aus einem Land, gegen das die Engländer Krieg führten. Seine Angehörigen haben mich nie gese hen. Außerdem würde ich mich niemals von meinen Kindern trennen.“
„Nun, das wäre sicher nicht nötig. Bedenken Sie doch, Alessa – Ihre Familie ist verpflichtet, für Sie zu sorgen. Und ich glaube, das würde sie sehr gern tun und Sie erfreut willkommen heißen. Es ist ja nicht so, dass Sie armen Leuten zur Last fallen würden. Vielleicht verstehen Sie das nicht – aber in der englischen Aristokratie hält man sich an gewisse Prinzipien, und man würde Verwandte, die in Not geraten sind, nicht im Stich lassen.“
Alessas Atem stockte. „Wieso glauben Sie, meine Familie würde zur Aristokratie gehören?“ Was weiß er? Meinen Nachnamen habe ich nie erwähnt … „ Und warum interessieren Sie sich überhaupt dafür?“
„Ich vermute, dass sie dem Adel angehört“, erwiderte Benedict unbehaglich. War ich etwa taktlos? „Und Ihr Schick sal interessiert mich, weil ich ein englischer Gentleman bin. Deshalb fühle ich mich für Not leidende Engländerinnen verantwortlich.“
„Sehe ich wie eine Not leidende Frau aus?“, fauchte sie.
„Nein.“ Plötzlich lächelte er, und die Spannung, die zwischen ihnen geknistert hatte, löste sich auf wie eine Seifenblase in der Sonne. „Eher wie eine Frau, die anmaßenden Männern den Marsch blasen könnte.“
Um ihren Lachreiz zu bezwingen, presste sie die Lippen zusammen. Benedict musste nun wirklich nicht ermutigt werden, indem sie ihre Belustigung zeigte. Dann nippte sie an ihrem Orangensaft.
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