Eine Liebe auf Korfu
Alessa möge ihr Gesicht verbergen, hatte er nur befürchtet, Lady Trevick würde die Ähnlichkeit zwischen der jungen Frau und Lady Blackstone erkennen. Wie sein Ansinnen auf Alessa wirken mochte, hatte er nicht bedacht. Ihre Empörung war verständlich. Eben hatte er noch behauptet, sie müsste ihren Platz in der englischen Gesellschaft einnehmen, und im nächsten Moment hätte er sie am liebsten unter den Tisch geschoben, um sie vor seiner Gastgeberin zu verstecken.
Nun musste er sie suchen und ihr seine Handlungsweise erklären. Doch dann wäre er gezwungen, ihr zu verraten, dass er Lady Blackstone für ihre Tante hielt. Das wollte er vorerst verschweigen, denn er hatte noch nicht überlegt, wie er die familiäre Zusammenkunft arrangieren sollte.
Benedict drückte sich an eine Wand, um einem Eselskarren Platz zu machen. Was sollte er tun? Inzwischen hatte er sich auf der Suche nach Alessa verirrt, war aber nicht so weit gegangen, dass er seinen Weg nicht zurückverfolgen konnte. Andererseits – es widerstrebte ihm, den Arkaden zu folgen, vor den interessierten Blicken der Gäste im Café. Feigling, schalt er sich und lächelte, um seine albernen Bedenken zu verspotten. Also musste er auf anderen Wegen zur Residenz zurückkehren.
Sollte er der beleidigten jungen Frau einen Brief schrei ben und sich entschuldigen? Nein, das wäre nun wirklich feige. Natürlich musste er sie besuchen und mit ihr reden.
Sein Blick glitt über die Dächer hinweg, und er entdeck te die Kuppel der Kirche Ayios Spyridon. Daran würde er sich orientieren. Langsam wanderte er durch das Laby rinth schmaler Straßen. Hin und wieder blieb er stehen, um die kunstvoll geschnitzten Türen einzelner Läden oder venezianische Brunnen mit den unvermeidlichen Markuslöwen zu bewundern. Er bezwang seinen Impuls, sich zu beeilen, denn es wäre unvernünftig, seinen lädierten Knöchel zu strapazieren. Vorerst wäre Alessa ohnehin nicht in der Stimmung, ihn zu empfangen.
Als er das südliche Tor der Kirche erreichte, schaute er nach rechts. Wie erwartet, sah er das Ende der Spianada und dahinter die Straße, die ihn zur Bucht und zur Residenz führen würde. Durch das offene Kirchentor beobachtete er Gläubige, die sich am Altar verneigten. Dahinter stand der Sarg mit den mumifizierten sterblichen Überresten des Bischofs Spyridon. Offenbar suchten die Leute bei ihrem Nationalheiligen Anerkennung oder Trost.
Spyridon konnte angeblich Stürme heraufbeschwören, was er getan hatte, um die Insel vor der türkischen Flotte zu retten. Rückhaltlos vertrauten die Korfioten seiner Macht. Auch Benedict nahm seinen Hut ab und trat in das Halbdunkel, das intensiv nach Weihrauch duftete. In den Silber- und Goldrahmen der Ikonen spiegelten sich zahllose Kerzenflammen.
Als Mann durfte er sich dem Bereich hinter dem Altar nähern, wo der Heilige aufgebahrt lag. Dort hatten Frauen keinen Zutritt. Aber er zögerte. Lächelnd bedeutete ein junger Priester mit einem üppigen schwarzen Bart ihm, er möge sich dem reich geschmückten Grab nähern. Durch eine Glaswand sah Benedict ein braunes, runzliges Gesicht. Unwillkürlich wich er zurück, verblüfft über die starke emotionale Wirkung dieses Anblicks. Eine Zeit lang wartete er, denn er wollte den Geistlichen nicht kränken, indem er die Flucht ergriff.
An seiner Seite stand ein anderer Mann in westlicher Kleidung, den Kopf gesenkt, anscheinend in ein Gebet vertieft.
Schließlich bekreuzigte sich der Mann, ging zum Tor, und Benedict folgte ihm. Auf den Kirchenstufen spürte er einen heftigen Schmerz, der durch seinen verstauchten Knöchel fuhr. Unwillkürlich streckte er eine Hand aus, suchte Halt, und der Fremde ergriff seinen Arm.
„Danke.“ Er fragte sich, ob er die richtige Sprache gebrauchte. Trotz seiner modischen Kleidung wirkte der Mann exotisch.
„Keine Ursache, mein Lieber.“ Die englischen Worte klangen fast akzentfrei. „Haben Sie Ihren Fuß verletzt? Darf ich Ihnen helfen?“
Auf den Arm des Fremden gestützt, stieg Benedict die restlichen Stufen hinab. „Neulich habe ich mir den Knöchel verstaucht. Vielen Dank für Ihren Beistand, Sir. Jetzt werde ich’s auch allein schaffen.“
„Kann ich Sie irgendwohin bringen?“ Der Mann schnippte mit den Fingern, und ein kleiner offener Pferdewagen, von einem Einheimischen gelenkt, fuhr heran und hielt am Straßenrand. „Gerade wollte ich zur Residenz fahren. Aber ich kann Sie woanders absetzen.“
„Die Residenz ist auch mein Ziel. Wegen
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