Eine Liebe auf Korfu
in deinem Boot? Ich bin halb verhungert.“
„Nein, nichts. Ich wollte zu dieser Bucht hinübersegeln. Da muss es ein Dorf geben.“
„Ja, mein Dorf. Willst du mit uns essen?“ Zögernd stand sie auf, in seiner Nähe von plötzlicher Scheu erfasst. Aber nachdem sie ihn wiedergefunden hatte, wollte sie ihn nicht gehen lassen. Und dann erinnerte sie sich an die ungeheu re Neuigkeit, die er ihr mitgeteilt hatte. Er war ihrer Tante begegnet? Auf der Insel Korfu?
„Sind deine Kinder bei dir?“, fragte er.
Statt zu antworten, nickte sie nur – zu verwirrt, um zu sprechen.
Benedict zog ihr Skiff ins Wasser, band es am Heck seines Segelboots fest und half ihr beim Einsteigen. Erstaunt stellte sie fest, wie geschickt er das Schiffchen manövrierte.
„Wohnt ihr drei allein in diesem Dorf, Alessa?“
Verstört zuckte sie zusammen. Wie seine erhobene Stimme verriet, stellte er die Frage schon zum zweiten Mal. „Nein, meine Freundin Kate Street hat uns begleitet. Und nebenan lebt die alte Agatha, gewissermaßen meine Großmutter.“
„Um auf deine Tante zurückzukommen, die ich identifiziert habe – du hast auch einen Onkel. Und dein Vater war der Ehrenwerte Alexander William Langley Meredith.“
„Ja“, bestätigte sie und sah ihn erleichtert aufatmen. „Der Ehrenwerte Captain Alex Meredith.“ Nach kurzem Zaudern berührte sie seine Hand, die am Ruder lag. „Danke.“
„Bist du mir wirklich dankbar?“ Ein wehmütiges Lächeln umspielte seine Lippen. „Wie du sicher verstehst, würde ich ehrlos handeln, wenn ich eine englische Aristokratin im Stich ließe.“
„Selbst wenn sie keine Not leidende Dame ist?“
„Sogar dann. Sobald du in England bist, wirst du erkennen, dass ich recht habe.“ Während er das Boot zum Kiesstrand steuerte, beobachtete sie sein markantes Profil. Wie selbstsicher er wirkte, im Vollgefühl seiner elitären Position … Keine Sekunde lang bezweifelte er, genau zu wissen, was am besten für sie war. Ob sie es wünschte oder nicht, er würde zielstrebig dem Diktat seiner Ehre folgen. Deshalb sollte sie ihm zürnen. Stattdessen sehnte sie sich nach seinen Küssen, nach den Liebkosungen seiner Hände …
„Schau doch!“, rief sie und streckte einen Zeigefinger aus. „Die Kinder sind zum Strand heruntergekommen.“ Kreischend spielte eine übermütige Schar im seichten Wasser Fangen, einige Kinder bespritzten sich oder warfen Kieselsteine in die Wellen.
Bei diesem Anblick lächelte Benedict, und ihr Herz er wärmte sich, bis ihr ein unerwünschter Gedanke durch den Sinn ging – er mag Kinder.
„Wie hast du deine beiden gefunden?“, fragte er.
„Als Papa von jenem Sturm überrascht wurde, befand sich auch Demetris Vater an Bord des Segelboots. Auch er kam nie nach Hause. Ein Jahr zuvor war seine Frau gestorben. Und Dora entdeckte ich wenig später. Sie saß am Straßenrand, mit blutverschmiertem Gesicht, und presste schluchzend eine schmutzige Fetzenpuppe an sich. Wie mir der Priester ihres Heimatdorfs erzählte, war ihre Mutter eine Witwe. Die Frau hatte sich mit einem Fischer eingelassen, der sie immer wieder verprügelte, ebenso wie das Kind. Eines Tages ging er zu weit, und die Frau starb. Da Dora keine Verwandten hatte, blieb sie bei mir. Nun glauben die beiden, sie wären Geschwister, und ich erinnere sie nicht an die Vergangenheit.“
„Wenn du sie nach England bringst, wird Demetri eine gute Schule besuchen und zu einem englischen Gentleman heranwachsen.“
„Aber er ist ein Grieche“, entgegnete sie in scharfem Ton, „ein Korfiot.“
„Sobald er erwachsen ist, kann er selbst bestimmen, wie und wo er leben möchte. Und Dora wird heiraten …“ Alessas geflüsterter Fluch unterbrach ihn. „Glaubst du nicht an die Ehe?“
„Nicht unbedingt – die Ehe bedeutet nicht alles. Und welcher Engländer will schon ein griechisches Bauernmäd chen heiraten?“
„Einer, der enge Kontakte mit den Merediths knüpfen will, indem er ihr Mündel zur Frau nimmt. Wie einschneidend sich dein Leben ändern wird, kannst du noch gar nicht ermessen, Alessa.“ Lächelnd hob er eine Hand, um die Kinder zu begrüßen, die sich rings um den Landesteg versammelt hatten und schreiend winkten.
Ob es mir gefällt oder nicht … Alessa stand auf, als das Se gelboot den Strand erreichte, band ihr Skiff los und warf das Tau Demetri zu, der es um einen Pfosten schlang. Lie bevoll grinste er sie an. So viele Privilegien würde er genießen, wenn er zu einem englischen Gentleman
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