Eine Liebe auf Korfu
Geschmack des Getränks, das Alessa ihm kredenzt hatte. Für ein paar Sekunden verlor er die Konzentration, das Segel flatterte, und das kleine Boot kam vom Kurs ab. Ärgerlich verfluchte er seine Unaufmerksamkeit und justierte das Ruder.
Zum ersten Mal, seit er vor dieser Reise seine Sachen gepackt hatte, gestattete er sich wieder, an Alessa zu denken. Du hast die Stadt im Zorn verlassen, warf er sich vor. Im merhin hast du einen Fehler gemacht. Und weil sie nicht geduldig daheim gesessen und auf deine Entschuldigung gewartet hat, grollst du ihr genauso wie dir selbst.
Aber diese Erkenntnis half ihm nicht weiter. Liebe ich sie? Oder fasziniert sie mich nur? Wie soll ich das wissen? Sein ver antwortungsvoller, bestens organisierter Lebensstil in England erlaubte keine leichtfertigen Flirts mit sittsamen jungen Damen, nur diskrete Beziehungen zu dieser oder jener Geliebten, ohne Illusionen auf beiden Seiten. Irgendwann würde er eine passende Braut finden, und damit wäre al les geregelt. Aber er hoffte natürlich, mit seiner künftigen Gemahlin würde ihn eine gewisse Zuneigung verbinden – wenn schon nicht Liebe.
„Idiot!“, murmelte er. Diese Gedanken zerrten an seinen Nerven, und es bereitete ihm ein wachsendes Unbehagen, in sich zu gehen, seine Seele zu ergründen. Allmählich fürchtete er, bisher wäre er den Frauen ziemlich arrogant, selbstgefällig und herablassend begegnet. Und Alessa würde zweifellos die Bezeichnung „heuchlerisch“ hinzufügen.
Vor dem Bug des Segelboots tauchte eine Landspitze auf, und Benedict beschloss, weiter aufs offene Meer hinauszusegeln. Doch da entdeckte er eine verlockende kleine Sandbucht in hellem Sonnenschein – menschenleer, von zerklüfteten Klippen gesäumt. Impulsiv steuerte er das Boot ins seichte Wasser vor dem sanft ansteigenden Strand.
Seine Schuhe und Strümpfe hatte er bereits ausgezogen. Durch kühle, erfrischende Wellen watete er an Land und band das Boot an einem Felsen fest. Dann schlüpfte er aus seiner Jacke, dem Hemd und der weiten Matrosenhose. Splitternackt warf er sich ins Meer und tauchte prustend wieder auf. „Brrr!“ Das Wasser war kälter, als er vermutet hatte, aber wundervoll klar und rein. Ganz deutlich sah er winzige Fische um seine Zehen herumschwirren. Auf seinen Schultern spürte er sengend heißen Sonnenschein.
Kraftvoll schwamm er zu der Landspitze. Da und dort hatte das Meer kleine Höhlen gegraben, in denen sanfte Wellen türkisblau schimmerten. An den Felsen unterhalb der Oberfläche leuchteten rosa-violette Flechten. Benedict trat Wasser und zupfte daran. Vielleicht würde er in Sir Thomas’ Bibliothek ein Buch finden, das über diese seltsamen Gewächse Auskunft gab.
Mehrere Sekunden lang ließ er sich treiben, das Gesicht nach unten, und betrachtete den Meeresgrund, bis ihm der Atem ausging. Um Luft zu holen, drehte er sich auf den Rücken. Danach spähte er wieder hinab.
Wie tief mochte das Meer hier sein? Zwanzig Fuß? Tiefer? Scharenweise flitzten Fische dahin. Nach einem weiteren Atemzug erblickte er eine Höhle, die weit in die Klippenwand hineinreichte, und beschloss, sie zu erforschen.
Nahe der Höhlenöffnung war ein Boot versunken. Kleine Krabben tummelten sich darin, der Kopf einer Schlange erhob sich, die unheimlich aussah. Aber sie entpuppte sich als harmloser Aal.
Das Wasser schimmerte in ständig wechselnden Blau- und Grünschattierungen. Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte Benedict, er könnte malen und diese Wunderwelt auf einer Leinwand festhalten.
Langsam und träge trat er Wasser. Dann bemerkte er plötzlich eine Bewegung am Rand seines Blickfelds, und sein Atem stockte. Etwas Großes näherte sich. Eine Robbe? Nein, solche Tiere gab es hier nicht. Ein Hai?
Benedict strich nasses Haar aus seinen Augen und hielt Ausschau nach einer Flosse. Nichts dergleichen … Er tauchte sein Gesicht ins Wasser, und da sah er die Gestalt. Direkt unter ihm schwamm sie dahin. Kein Hai, sondern eine Nixe. Anmutig glitten schlanke Arme und Beine durch das Wasser. Wie dunkle Algen schwebten die Haare um ihren Kopf. Sie sank hinab, um etwas vom Meeresgrund aufzuheben, und wechselte die Richtung.
Da entdeckte sie Benedicts Schatten und drehte sich auf den Rücken. Suchend schweifte ihr Blick umher, ehe sie sich pfeilschnell entfernte.
Musste sie nicht auftauchen, um Atem zu holen? Benedict sog die salzige Luft tief in seine Lungen, schwamm nach unten und folgte ihr. Etwas weiter vorn sah er die Nixe
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