Eine Liebe auf Korfu
heranwächst – so viele Chancen könnte er nutzen. Und Dora? Auch ihr würde eine neue, wunderbare Welt offen stehen. Bin ich selbstsüchtig? Oder einfach nur stolz?
„Seht mal, wen ich gefunden habe!“, rief sie und sprang aus dem Boot ins Wasser. „Lord Blakeney wird mit uns essen.
Würdet ihr hinauflaufen und Tante Kate Bescheid geben?“
„Yia sous.“ Lächelnd nickte Benedict den Kindern zu.
„Yia sas!“, erwiderten sie wie aus einem Mund, sicht lich erstaunt, weil er die griechische Umgangssprache beherrschte. Dann wandten sie sich ab und stürmten den steilen Hang hinauf.
„Offenbar hast du Neugriechisch gelernt“, bemerkte Alessa und führte ihn zu dem schmalen Sandweg.
„Mittlerweile beherrsche ich etwa zehn Redewendungen. Um meine Kenntnisse zu vervollkommnen, versuchte ich diese Sprache mit den Dienstboten zu üben. Aber die halten mich für verrückt und bestehen darauf, mich englisch anzusprechen. Also mache ich keine nennenswerten Fortschritte. Wenn ich nicht weiterweiß, denke ich ans klassische Griechisch. Und dann gerate ich völlig durcheinander.“ Benedict legte ihre Hand in seine Armbeuge. „Teuflisch steil dieser Weg.“
„Nicht lange …“ Obwohl sie den Pfad unzählige Male hinauf- und hinabgegangen war, verschlug es ihr den Atem. An ihrem Handgelenk spürte sie Benedicts warme Haut. Sein Hemd war noch feucht, weil er es über seinen nassen Oberkörper gestreift hatte. „Da vorn siehst du unser Häuschen.“ Von Olivenbäumen und einer hohen Pinie an einer Seite überschattet, neigte sich das steinerne Gebäude ein wenig seitwärts, als suchte es die Gesellschaft von Agathas kleinerem Haus. Bei diesem Anblick fühlte Alessa sich stets zufrieden und geborgen. „Hier bin ich zu Hause.“
Könnte ich diese Insel jemals verlassen? Plötzlich stieg eine sonderbare Angst in ihr auf.
9. KAPITEL
Benedict spürte, wie sie sich versteifte, und wandte den Kopf zu ihr. Doch die breite Hutkrempe verbarg ihr Gesicht. Und so richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Empfangskomitee, das sich bei der Gartenpforte versammelt hatte. Die Kinder freuten sich sichtlich über seinen Besuch. Für die beiden Frauen schien das nicht uneingeschränkt zu gelten. Die jüngere, eine rundliche Person mit zerzaustem rotem Haar, hatte die kräftigen roten Arme vor ihrem imposanten Busen verschränkt und musterte ihn ungeniert, teils neugierig, teils abschätzend. Die Stirn arrogant gefurcht, starrte er zurück und erwartete, sie würde den Blick senken. Stattdessen grinste sie unbefangen. Vermutlich war das die Freundin, die Alessa geholfen hatte, ihn auszukleiden und zu verarzten. Wie ihre funkelnden Augen bezeugten, wusste sie, dass er das erriet. Nun suchte sie in seiner Miene nach einem Ausdruck verlegenen Unbehagens.
Aber er bewahrte seine Fassung und schaute die andere Frau an. Scheinbar so alt wie die Olivenbäume hinter ihr, mit runzligem braunem Gesicht, wirkte sie so zäh wie Stiefelleder. Unter einem kunstvoll drapierten Kopftuch, das zweifellos die Hörner einer Kuh verhüllte, glitzerten scharfe schwarze Augen, von unverhohlenem Misstrauen erfüllt.
Benedict setzte sein charmantestes Lächeln auf, und die alten Augen verengten sich. „Kalíméra“, grüßte er höflich.
„Yia sas.“ Gute Gesundheit. Aus dem Mund der Greisin klang die Phrase wie eine Drohung.
„Guten Tag, Sir.“ Mrs. Street grinste noch breiter. „Freut mich, Sie wiederzusehen“, fügte sie hinzu, und er hörte, wie Alessa an seiner Seite nach Luft schnappte.
„Leider erinnere ich mich nicht an unsere erste Begegnung, Madam“, antwortete er. „Also sind Sie mir gegenüber im Vorteil.“
„ Kyria Agatha, Mrs. Street“, fauchte Alessa und zerrte ihn energisch durch die Pforte, sodass die beiden Frauen ausweichen mussten. „Hoffentlich wird unser Gast nicht allzu lange auf eine Erfrischung warten müssen.“ Ihre Stimme klang so frostig wie in jenen Momenten, wo sie ihn getadelt hatte. Diesmal genoss er ihre Missbilligung. Sie war nervös, ging in die Defensive, und das konnte nur mit ihm zusammenhängen.
Was zweifellos bedeutete, dass ihr die Ereignisse in der Bucht doch nicht so gleichgültig sind, wie sie es vorgeben möchte, dachte er und ließ sich von den Kindern zu einer Bank unter einer Weinlaube führen.
Eigentlich sollte er sich schämen. Das wusste er. Ein Gentleman dürfte eine heikle Situation nicht ausnutzen – nicht einmal, wenn ihn das plötzliche Erscheinen einer unbekleideten Dame
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