Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
auf. Je mehr man sich mit der Wirklichkeit des Lebens, mit seiner Vergänglichkeit auseinandersetzt, desto belangloser und lächerlicher erscheint jedes Renommieren. Die Zeit meiner Jugend war davon erfüllt. Die Nazis waren eine einzige Angeberbande, da gab es nur noch Renommieren. Das tausendjährige Reich, das nie untergeht! Zu erkennen, dass man stirbt, dass man schwach wird, dass man Kriege verlieren kann, das gab es für die Nazis nicht, entsprechend natürlich auch keine Erziehung zur Trauerfähigkeit. Demzufolge waren die Nazis zu Einsicht unfähig und verleugneten die Realität.
Ohne Zweifel betrauert man sich selber da, wo man versagt hat, beruflich z.B., wenn es um die Anerkennung durch andere geht, was mit Scham zu tun hat. Sicherlich trauert man um sich auch, wenn man Menschen gegenüber versagt hat, die man sehr liebt. Dieses Versagen stellt nicht nur das Selbstwertgefühl unmittelbar in Frage, es löst auch die schmerzlichsten Schuldgefühle aus. Renommieren ist dann nur noch lächerlich. Dabei denke ich an meinen verehrten Lehrer Freud, der ein Genie, aber auch ein sehr ehrgeiziger Mensch war. Er war zu klug, um zu renommieren, aber er legte den größten Wert auf die Priorität seiner Ideen. Freud hat zunehmend die Brüchigkeit eines solchen menschlichen Ehrgeizes entdeckt.
Die Kunst des Trauerns, die Kunst des Wissens vom Tod, die Kunst des Sich-immer-wieder-Klarmachens, dass Schwäche und Vergänglichkeit auf jeden von uns zutreffen, ist mir zugänglich. Von der Ars moriendi, der Kunst des Sterbens, weiß ich wenig, sie ist mir begrifflich recht fremd. Bei Schwerkranken erlebte ich, dass sie, je kränker sie wurden, zunehmend unfähiger waren, sich selbst zu beobachten. Das war besonders auffällig, wenn sie in der Zeit vorher, im Laufe ihres Lebens viel vom Tod gesprochen, viel an den Tod gedacht hatten. Der körperliche Abbau ist oft mit einem Abbau der geistigen Kräfte verbunden.
Frauen und Männer
Die Frauen werden im Hinblick auf die Rollen, die sie im Leben übernehmen müssen, zwar anders erzogen als Männer. Da hat sich manches geändert, aber in den Tiefen unserer Seele haben wir immer noch recht festgefahrene Urteile über das, was wir als männlich und was wir als weiblich ansehen. Jungen dürfen nicht weinen, müssen mit Gefühlen sparsam umgehen, Mädchen dagegen sollen gefühlvoll und vor allem mütterlich sein, um nur eine recht allgemeine Einstellung zu nennen, die jedoch von früh an die Entwicklung prägt – nach wie vor. Das heißt auch, dass Frauen sich ihrer Trauer später eher hingeben dürfen als Männer. Wenn man auf eine Beerdigung geht, dann sieht man viele Frauen, aber sehr wenige Männer, die weinen.
Das sind Klischees, zumindest Verallgemeinerungen. Aber um bestimmte Entwicklungen darzustellen, die doch unterschiedlich sind, muss man sie erst einmal zuspitzen und zeigen, dass es nach wie vor eine geschlechtsspezifische Erziehung gibt, die sich auf den Umgang mit Gefühlen, d.h. auch auf Trauer auswirkt.
Was den Umgang mit Emotionen im beruflichen Leben betrifft, habe ich bei meinen Aufenthalten in den USA von den Frauen dort viel gelernt: Sie argumentieren sachlicher als wir und sind deshalb durchsetzungsfähiger. Es ist schwer, diese Distanz, diese Sachlichkeit sich gegenüber zu erlernen, ohne seine Spontaneität zu verlieren. Männer lernen auch langsam, emotionaler sein zu dürfen, als es bisher der Fall war. In ihren Familien allerdings konnten sie sich im Großen und Ganzen immer mehr gehen lassen als Frauen, durften launischer sein als sie. Aber im beruflichen Leben haben, glaube ich, beide Teile etwas gelernt, wenn es auch immer noch große Unterschiede in der Fähigkeit gibt, sich durchzusetzen.
Kommen wir auf die Frage der Fähigkeit zu trauern zurück. Beim Anblick der Bilder von dem grausamen Krieg in Bosnien sahen wir viele weinende Frauen, Männer kaum. Der Krieg wird von Männern geführt, die Grausamkeiten gehen fast ausschließlich von Männern aus. Obwohl Jugoslawien zu Europa gehört, beobachtet man dort die primitivsten Männlichkeitsriten. Die Frauen werden nach wie vor vergewaltigt, man will damit den Gegner erniedrigen, aber darin äußert sich auch der Urhass auf die Mutter, von der jeder Mann ursprünglich so abhängig war und ohne die er das Licht der Welt nicht erblickt hätte. Die Aufklärung, auch die durch die Psychoanalyse, ist in diese archaische Gefühlswelt nur sehr partiell oder gar nicht vorgedrungen.
Ich denke schon, dass
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