Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
Leuten aus der DDR, dass sie in ihren sogenannten »Nischen« sehr miteinander verbunden waren. Es gab immer Arbeit, es war klar, dass die Menschen auch im Alter versorgt waren, selbst wenn der Standard niedrig war. Viele hatten sich mit der Stasi arrangiert. Wenn man die Berge von Stasi-Akten sieht, fasst man sich an den Kopf. Es scheint, eine ungeheure Energie ist in die gegenseitige Bespitzelung geflossen. Das Verhalten eines großen Teils der DDR-Bevölkerung erinnert mich an ein Stück von Jean-Paul Sartre, Die Eingeschlossenen [108] , in dem dargestellt wird, wie sehr die anderen sich, d.h. jeder jedem zur Hölle wird, wenn er eingeschlossen ist. War also die Mauer eine der Ursachen des Stasi-Akten-Exzesses? Konnte man seine Aggressionen, seine Sensationslust, seine Neugierde in dieser Enge nur durch ein übermäßiges destruktives und voyeuristisches Interesse aneinander befriedigen? Das muss doch bei vielen auch unglaubliche Schuldgefühle und entsprechende, an sich selbst gerichtete Strafbedürfnisse geweckt haben und heute noch wecken. Das Streben mancher besonders Belasteter nach Macht und Öffentlichkeit mag daher auch eine Folge des Strafbedürfnisses sein, das sich darin äußert, endlich entdeckt zu werden.
Sind wir nun der Fähigkeit zu trauern in Deutschland nähergekommen? Zumindest scheinen wir uns langsam weniger gegen die Konfrontation mit der historischen Schuld zu wehren, was auch bedeuten könnte, aufrichtiger mit uns selbst umgehen zu können. Aber ist das wirklich so? Und gibt es darin Unterschiede zwischen Ost und West, oder versuchen wir im Westen nur, unsere eigene Unfähigkeit zu betrauern, unsere untergründige Selbstverachtung gen Osten zu verschieben und dort heuchlerisch zu verurteilen, was wir bei uns selber nur allzu gern verdrängten oder schweigend durchgehen ließen?
Für die Ex-DDR besteht die Gefahr, dass eine Art von Gesinnungssäuberung betrieben wird, die weder dort noch irgendwo anders gelingen kann, sofern sie sich nicht darauf beschränkt, Kriminelle und eindeutige Täter zu bestrafen und selbst besser zu verstehen, was war, d.h. sich zu erinnern, ohne zu verdrängen oder zu verleugnen. Wir Westler versuchen manchmal, im Osten jene Vergangenheitsbewältigung zu betreiben, die uns im Westen nie gelungen ist.
Es ist nicht zu übersehen, dass sich die Deutschen in West und Ost als Folge jahrzehntelanger Trennung und unterschiedlicher Regime mittlerweile in vielen ihrer Denk- und Verhaltensweisen unterscheiden.
Die Ostdeutschen scheinen manchmal zu vergessen, dass Ost- wie Westdeutsche für Hitler mitverantwortlich waren. Gleichzeitig verleugnen sie, dass sie von den Verbrechen des Stalinismus gewusst haben. Sie fühlen sich als doppelte Opfer: das eine Mal des Nationalsozialismus, der, als der Krieg verloren war, sie mit einem Leben auf der falschen Seite bestrafte, das andere Mal des Staatssozialismus, der ihnen den Stalinismus und die Mauer brachte. Konfrontiert mit Armut, Arbeitslosigkeit und Amtsenthebungen nach der Wende, verstärkten sich ihr Ressentiment und ihr Gefühl der Minderwertigkeit, nicht selten als Folge der schon erwähnten Gesinnungssäuberung, wobei wie üblich oft die Kleinen gehängt, die Großen verschont und gefördert werden. Sie fühlen sich als Deutsche zweiter Klasse und werden auch so behandelt. Ein neues deutsches Nationalgefühl soll auch da die Selbstachtung wieder herstellen.
In dieser Situation werden sie wenig davon wissen wollen, dass sich ihre Selbstachtung nur wiederherstellen lässt, wenn sie sich der schmerzlichen Erinnerungsarbeit stellen, d.h. sich in die Opfer von gestern und vorgestern einzufühlen versuchen, aber auch in sich selber, so wie man nun einmal war oder zu was man gemacht wurde. Auch wir heutigen »Besserwessis« haben uns selbst über lange Zeit als die größten Opfer Hitlers bemitleidet. Verdrängung, Verleugnung wie auch Selbstmitleid und verleugnete Selbstverachtung machen nun einmal nicht nur einfühlungsunfähig und gleichgültig gegenüber dem Elend anderer, sondern auch unfähig dazu, die eigene Stagnation wahrzunehmen.
Als der S. Fischer Verlag während einer Leipziger Messe gleich nach der Wende eine Ringvorlesung an der Humboldt-Universität in Berlin vorschlug und als Themen Vergangenheitsarbeit und Feminismus anbot, war die Reaktion negativ. Für diese Themen bestehe kein Interesse. Die mit diesen Themen zusammenhängenden Probleme seien in der DDR längst bewältigt. Wie lässt sich dieses
Weitere Kostenlose Bücher