Eine Liebesehe
malen, und sie stand regungslos. Die Sonne schien nur eine knappe Stunde herein. Dann schnitt ein hohes Gebäude sie ab. Dann würde Ruth ihre Kleider anziehen und sich an ihre Hausarbeit machen – das heißt, wenn er es zuließ. Er ließ es nicht zu. Als die Sonne verschwand, wie wenn eine Berührung sie ausgewischt hätte, warf er die Palette hin. Ruth hatte sich schon umgedreht, um ihre Wäsche zu nehmen.
»Warte!« befahl er. Er trat zu ihr. »Zieh dich noch nicht an!« flüsterte er.
»Aber ich muß doch das Zimmer aufräumen«, entgegnete sie unwillig.
»Ach nein, das hat keine Eile.«
»Ich möchte meine Arbeit gern am Vormittag erledigen.«
»Deine Arbeit!« sagte er in zärtlichem Neckton. Er hatte ihren schönen nackten Leib in die Arme genommen. Dieses zauberhafte Fleisch, das im Sonnenschein durchgeistigtes Modell gewesen, war jetzt nur noch Gegenstand der Liebe. Aber sie wollte sich ihm nicht geben, und es lag ihm nicht, sie zu zwingen.
»Was ist, mein Herz?« forschte er. »Was hast du dagegen?«
Sie ließ den Kopf hängen, daß die langen braunen Haare ihr Gesicht verdeckten. »Ich hab' es nicht gern … am Tage«, antwortete sie. »Es kommt mir … unrecht vor.«
»Unrecht!« wiederholte er. »Aber Liebling, wie kann zwischen uns etwas Unrechtes sein?«
Er hörte sich dennoch ihren geringfügigen Einwand an, und er fühlte, wie die Magie ihres Leibes schwand, wie der Duft verging.
»Anständige Menschen tun es nicht am Tage«, sagte sie.
»Woher weißt du das? Was ist übrigens Anstand?«
»Mir ist … nicht wohl dabei zumute, wenn wir es tun«, erklärte sie.
»Ach so!« versetzte er. »Das ist etwas anderes, das ist entscheidend.«
Er hielt sie nur noch einen Augenblick. Dann zog sie sich an, und er ergriff wieder seinen Pinsel und arbeitete lange schweigend an dem dunklen Grunde hinter der silbrigen Gestalt. Während der ganzen Zeit war er sich ihrer bewußt, indes sie eilfertig fegte, abstaubte und das Mittagessen zubereitete. Aber das Zimmer, das bisweilen das Gefäß all seiner Träume sein konnte, war bloß ein gewöhnlicher Raum. Ein paarmal redete er sie fröhlich an.
»Wollen wir heute abend auswärts essen, Ruth?«
»Wie du willst«, erwiderte sie.
»Nein, Ruth, was hättest du gern?«
»Ich will nichts anderes, als was du willst«, gab sie zurück, und als er nicht antwortete, hielt sie in ihrer Tätigkeit inne und sagte ängstlich: »Wirklich, William, ich meine das ernst.«
Sie meinte es ernst. Er wußte das. Sie gab ihm alles, was in ihren Kräften stand. Und hatte sie sich etwas zuschulden kommen lassen? Ihr hübsches Gesicht flehte um Zärtlichkeit.
»Dann wollen wir ausgehen«, bestimmte er freundlich.
Sie kehrten heim, nachdem sie in der Nähe einer Musikkapelle im Park umhergebummelt waren. Und in der Nacht, als Dunkelheit alles bedeckte, versöhnte sich Ruth mit ihm. War es eine bewußte Versöhnung? Er vermochte nie dahinterzukommen. Aber er glaubte es nicht, weil er meinte, daß sie sich ihres Tuns nie bewußt wäre. Sie bewegte sich, sie sprach, sie schwieg, wie der Trieb des Augenblicks es ihr eingab. Darauf beruhte ihr nie versagender Reiz, dachte er oft, daß alles, was sie tat, zutiefst gefühlt war.
So bemerkte er mit feiner Wahrnehmungsfähigkeit die Weichheit ihres Mundes, als sie an diesem Abend heimkehrten. Sie zog sich langsam aus, beinahe trödelnd, streckte ihre schönen Arme aus und warf das Haar zurück. Er beobachtete jede ihrer Bewegungen, die alle von kindlicher Bedeutung waren, bis sie das letzte Kleidungsstück abgestreift hatte und sich daran machte, ihr langes Nachthemd anzuziehen.
»Warte«, befahl er ihr.
Sie blickte auf, gleichzeitig lieblich, scheu und kühn.
»Komm her«, sagte er.
Er sah sie an, indes sie kam; der Liebhaber in ihm wurde durch den Maler, der ihre Vollkommenheit gewahrte, zur Ekstase erhöht. Er hielt ihr die Arme entgegen, sie schmiegte sich hinein, und er spürte wie stets die Frische ihres Wesens. Sie war für ihn ewig neu, weil sie aus jedem Augenblick, der nie einem anderen glich, neu zu ihm kam. Hätte sie überlegt, wäre sie weniger triebhaft gewesen, so hätte sie nicht Ruth sein können. Wie reich sie war, wie großmütig, wie tief ihm hingegeben! Er vergaß alles in ihrer Hingabe. So groß sein Bedürfnis war, so groß war sie.
Sie konnte nichts verbergen, und als sie unter der Stadt litt, merkte er es, obwohl sie kein Wort sagte. Ihre Triebhaftigkeit litt, und gerade durch ihre Triebhaftigkeit
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