Eine Liebesehe
hatte Jill sich etwas so ersehnt, wie mit Elise fortzugehen. Am Nachmittag hatte sie William beiseite genommen und hatte, seine Hand mit ihren vom Einkochen klebrigen Händen umklammernd, sich bemüht, ihm klarzumachen, wie verzweifelt es sie danach verlangte, fortzukommen.
»Schon längst wollte ich irgendwohin gehen. Ich glaube, mein ganzes Leben lang wollte ich immer woanders leben. Ich bin anders als Mary. Ich kann nicht nur Hausarbeit verrichten und Kühe melken und Hühner füttern. Es gibt noch andere Dinge – es muß noch andere Dinge geben, nicht wahr, Vater?«
»Es gibt noch viele andere Dinge.«
»Mutter glaubt immer alles am besten zu wissen«, rief das Mädchen leidenschaftlich, »aber wie kann sie wissen, was für mich am besten ist?«
»Das kann sie auch nicht«, sagte er.
»Wenn ich nicht fortkomme, sterbe ich.«
»Du wirst nicht sterben«, entgegnete er, »aber vielleicht hast du mehr vom Leben, wenn du fortgehst.«
Er dachte an den sonderbaren Zufall, durch den sie das Bild von Elises Sohn gefunden hatte. In dieses ruhige Haus griff das Leben, das er gemieden, mit langen Armen, um ihn zu umstricken. Er seufzte.
Jill, die mit gerunzelter Stirne nur an sich selber dachte, hörte den Seufzer nicht. Sie sprudelte heraus: »Es ist, als ob ein Mann, den ich gar nicht kenne … den ich nun nie mehr kennenlernen werde, obwohl ich ihn vielleicht kennengelernt hätte … nie hab' ich einen Menschen gesehen, der mich so angezogen hat … er hat mir eine Türe geöffnet, und ich will nicht, daß sie sich wieder schließt!«
»Ich glaube nicht an verschlossene Türen«, sagte er. »Ich will tun, was ich kann, Jill, ohne Mutter zu verletzen.«
»Du denkst immer zuerst an sie.«
»Das war von jeher so«, gab er zurück.
Sie warf ihm einen dunklen Seitenblick zu, und dann trennten sie sich.
Seite an Seite lagen er und Ruth nun in dem breiten alten Bett, und um Jills willen versuchte er eine Welt erstehen zu lassen, die er längst vergessen geglaubt. Ruth hörte ihm zu und riß die Welt ebenso schnell nieder, wie er sie aufbaute.
»Ich kann nur etwas einsehn, das ganz klar ist, William. Hättest du diese … Frau geheiratet … wenn du mich nicht kennengelernt hättest?«
»Ich habe dich aber kennengelernt, Liebste.«
»Hättest du sie geheiratet?«
»Vermutlich wohl, genau wie du Henry Fasthauser geheiratet hättest, wenn ich nicht gekommen wäre.«
Darüber dachte sie nach. »Nun ja, das seh ich ein«, sagte sie dann.
Wieder sann sie eine Weile. Elise unterschied sich von allen Frauen, die sie kannte. War sie im Innern wie William? Wovon sprachen die beiden miteinander?
»Alle die Briefe, die du bekommen hast … waren einige von ihr?« fragte sie.
»Ja, einige waren von ihr«, antwortete er.
Als sie nicht weitersprach, fragte er sie: »Möchtest du sie gern lesen?«
Sie überlegte es im stillen immer wieder. »Nein, ich weiß nicht, ob es irgendeinen Zweck für mich hätte, wenn ich sie lesen würde.«
Sie sprach es nicht aus, aber sie dachte: Was, wenn sie damit nicht mehr anfangen konnte als mit dem Brief, den sie vor langer Zeit von William erhalten hatte? Irgendwo tief im Innern fühlte sie sich verwundet, und sie war außer Fassung, weil sie nicht festzustellen vermochte, wo die Wunde saß oder wer sie verursacht hatte. Auf William konnte sie nicht böse sein, denn er war liebevoll und nachsichtig mit ihr, und das wußte sie recht wohl; doch trotzdem ärgerte es sie irgendwo, irgendwie, weil er meinte, er müsse mit ihr liebevoll und nachsichtig sein. Sie hätte ihm ihren Ärger gerne offen gezeigt, so daß diese große Wunde in ihrem Innern bloßgelegt würde.
»Wenn Jill mit dieser Frau fortgeht, wird sie zu Hause nie mehr zufrieden sein«, sagte sie.
»Ist das dein Einwand?« antwortete er. »Vielleicht ist es gerade umgekehrt. Vielleicht ist sie dann froh, wieder heimzukommen. Denk doch daran, daß ich mich entschlossen habe, hier zu leben.«
»Bei dir war es etwas anderes – du kanntest nur diese andere Lebensweise, und es schien dir gut, sie aufzugeben. Aber sie kennt nur das Leben hier, und das andere wird ihr besser erscheinen.«
»Aber haben wir das Recht, es ihr zu verweigern?«
»Es ist ja nur zu ihrem Besten!« rief Ruth.
»Wissen wir, was für sie das richtige ist?« fragte er.
»O ja«, versetzte sie. »Sie gehört zu uns.«
»Nein«, sagte er langsam, »kein Mensch gehört einem andern.«
Es entstand ein langes Schweigen.
Dann kam ihre Stimme aus der
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