Eine Luege ist nicht genug
nicht ›erste jährliche‹ sagen kann. Nichts ist jährlich, bevor du es nicht einige Jahre hintereinander getan hast.«
»Herzlichen Dank«, sagte sie und schob eine Hand in die Gesäßtasche, als wollte sie nach ihrem Portemonnaie greifen. »Stellst du Formulierungshilfen in Rechnung oder ist die hier umsonst?«
Ich lachte. »Nimm’s als Spende. Also, bin ich jetzt zu früh oder zu spät?«
»Du kommst genau richtig. Du kannst schon mal die Luft aus dem Schlauchboot da drüben rauslassen.«
»Also keine Mitspieler?«
Olivia zog bei einem der Schlauchboote den Stöpsel raus und fing an, die Luft aus ihm herauszurollen. »Niemand würde hier runterkommen, um auf dem Copenhagen mit dem Schlauchboot zu fahren«, meinte sie. »Sie wären ja bescheuert. Verdammt, das Wasser würde den Booten wahrscheinlich sowieso den Boden wegätzen. Ich hab das nur gemacht, um die Leute auf das Problem aufmerksam zu machen.«
Ich schaute mich nach »den Leuten« um, sah aber keine.
»Ja, ist ja gut«, sagte sie. »Ich hab gehofft, jemand vom Daily Dane würde rauskommen und darüber berichten, aber sie haben mich wie immer ignoriert. Immerhin bin ich im Terminkalender erwähnt worden und ich hab Flugblätter in der Stadt verteilt. Ich denke mal, das ist immerhin etwas, wenn ich sie dazu bringen kann, sich daran zu erinnern, dass es den Fluss noch gibt.«
»Der Daily Dane ?«, fragte ich.
»Denmarks kleine Zeitung.«
Mein Schlauchboot hatte ich nun halb leer. Ich klemmte mir den aufgerollten Teil unter den Arm und presste. Der Schweiß strömte mir nur so über den Rücken.
»Man müsste doch eigentlich denken, der Gestank allein würde schon reichen, sie daran zu erinnern.«
Olivia setzte sich auf das, was von ihrem vorher aufgeblasenen Schlauchboot übrig geblieben war. »Tut er nicht. Aber es sieht so aus, als hätte ich zumindest eine Person erreicht.«
Zuerst dachte ich, sie meinte mich, doch dann schaute ich in ihre Blickrichtung. Von der Straße über uns sah Hamilton hinter den Fenstern seines Offroaders zu uns herab. Als er merkte, dass wir ihn entdeckt hatten, trat er das Gas durch und rauschte mit kreischenden Reifen in einer Wolke von Steinen und Staub davon.
»Du scheinst unheimlich viel dafür zu tun, um immer und immer wieder dieselbe Person zu erreichen«, bemerkte ich.
Sie nahm einen Armvoll Paddel auf. »Komm schon, hilf mir, das Zeug zu meinem Auto zu bringen.«
Wir verstauten alles hinten in Olivias Jeep, und dann winkte sie mir, ich sollte einsteigen. Mir war es ziemlich egal, wohin wir fuhren, aber Olivia hatte offenbar irgendetwas vor. Ohne auch nur ein einziges Wort zu wechseln, fuhren wir immer höher und höher in die Hügel und Berge, die sich über Denmark erhoben. Der Asphalt ging in Schotter über, dann gab es nur noch eine Fahrspur und anschließend nicht einmal mehr einen Weg. Der Jeep hopste und holperte und hielt an. Olivia sprang raus und ich folgte ihr. Während der Fahrt war es mir nicht aufgefallen, doch hier war die Luft kühler und nicht so feucht. Es ging sogar etwas Wind, und als ich den Duft von Kiefern und Hortensien roch, wurde mir klar, dass wir noch etwas hinter uns gelassen hatten: den Gestank der Elsinore Papierfabrik.
Olivia schob sich zwischen ein paar Büschen durch, und wir kamen auf einem Felsen raus, ungefähr so groß wie eines der gelben Schlauchboote. Zum Rand hin fiel er etwas ab und bot einen erstaunlichen Blick auf Denmark, die Berge und etwas entfernter die qualmenden Schornsteine von Elsinore. Olivia setzte sich und ich fand einen Platz neben ihr. Ich ließ sie einen Moment in Ruhe, während sie tief Luft holte.
»W eißt du«, sagte ich schließlich, »du hast recht gehabt damit, dass die Papierfabrik auch sauber produzieren kann. Die Schweinehunde wollten bloß kein Geld dafür ausgeben.«
Olivia nickte, als hätte sie das schon immer gewusst, zog die Knie an, legte die Arme darum und blickte weiter in die Ferne.
»Schöne Stelle hier«, sagte ich. »Ich glaube, ich kann Hamiltons Haus von hier sehen.«
»Hamilton hat mich hier hochgefahren. Unser erstes Date. Sie legte den Kopf auf die Knie und drehte mir das Gesicht zu, sah mich aber nicht an. »Und dann noch viele Male.«
Ich stieß einen zerfallenden Kiefernzapfen über die Felskante.
»Du hast ihn doch mal ein Gedicht für mich schreiben sehen«, sagte Olivia. »Es war nicht das einzige. Nachdem er zur Schule weggefahren war, hat er mir jeden Tag ein neues Gedicht geschrieben. Richtig als
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