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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Annehmlichkeit des Umgangs mit dem männlichen Geschlecht gekostet zu haben. »Denn so grausam kann doch Gott nicht zu meinem Kinde sein…«
    Eine schwere Zeit war für die Stadt angebrochen. Das Furchtbarste aber schien das Bewußtsein, daß von nirgends Hilfe zu erwarten war. Die Menschen fühlten sich als lebendige Tote, nur dem eigenen Unternehmungssinn überantwortet und den eigenen Kräften, die sie – ehrlich gesagt – aus allen Bindungen, wie sie die Welt für gewöhnlich auferlegt, befreiten. Da sie derart vereinsamt waren, derart verlassen von allen weltlichen und geistlichen Herrschern, so völlig verurteilt, kamen sie auf die Idee, daß alles, was zuvor mit ihrer Welt verbunden gewesen war, nunmehr jeglichen Wertes beraubt sei. In der Stunde bitterer Erfahrung, von Pest und Hunger geschlagen, sahen sie sich auf einer menschenleeren Insel, allseits umgeben von einem fühllosen, gleichgültigen und unüberquerbaren Meer. Aber nicht nur das beeinflußte ihre Phantasie. Angesichts des Unglücks waren mit einemmal alle einander gleich, und die geheiligten Rechte lagen in Trümmern. Ohne Unterschied starben Handwerker, Herren, Priester, Männer und Frauen, Greise und Kinder. Der Tod, der auf seinem schwarzen Roß Einzug in die Stadt gehalten hatte, klopfte an alle Türen, ohne der Art des Hauswesens Beachtung zu schenken. Die widerlichen Ratten, die am hellichten Tage, unter sengendem Himmel, rudelweise die Stadt heimsuchten, stürzten sich mit dem gleichen Appetit auf Herren- und Plebejerfleisch. Farias de Saxe, dessen Stolz größer war als sein Lebenswille, wachte genau darüber, daß die kärglichen Rationen gleichmäßig auf die hungrigen Mäuler verteilt wurden.
    Nun, wie schon erwähnt, es herrschte eine zunächst seltsam anmutende Gleichheit, die nicht ohne Wildheit und Raserei war… Einmal riß irgend jemand die Menge mit sich fort zum Kloster der Dominikaner, wo man seit Jahrhunderten gelehrte Bücher sammelte. Ohne zu wissen warum, häuften die dort Zusammengeströmten die Pergamente zu Bergen und zündeten sie an, und als die Flammen emporschossen, faßten sie sich bei den Händen und tanzten in Rauch und Feuerschein bis spät in die Nacht. Alles, was sich nicht essen ließ, wurde vernichtet. Eine Zeit neuer Wertmaßstäbe brach an für die Stadt, und bei Gott, es konnte scheinen, daß die Menschen bei all ihrem Unglück und ihrer Verbitterung freier atmeten! Beinah alle empfanden mit einemmal ihr früheres Leben als mit einer Vielzahl überflüssiger Wunderlichkeiten und Hirngespinsten belastet. Man sagte nicht: Wozu jetzt Bücher und Wissenschaft?, sondern: Wozu überhaupt Bücher und Wissenschaft, wenn sich gegen unseren Willen die Zeit erfüllt und wir aus dieser Welt fortmüssen, ohne Freude, ohne Wonnen, ja, ohne auch nur wirkliches Unglück kennengelernt zu haben? Und da man erst einmal prinzipiell zweifelte, stellten sich auch rasch die Zweifel an Gott ein. Mit jedem Tag wurde er weniger notwendig; er war ja nicht präsent, war aus Arras fortgegangen und hatte die Stadt den ausgehungerten Bürgern zum Raub überlassen. Und da bekamen auf einmal unsere sterbenden, hungerverzehrten, von der Pest bis aufs Mark ausgebrannten Leiber den höchsten Wert. Mit Zärtlichkeit betrachteten die Menschen ihre Gesichter, Arme, Bäuche. Nichts als der Körper war von Wichtigkeit, und nichts verdiente mehr Liebe. Es kam vor, daß diejenigen, die dicker waren als andere, eine seltsame Wollust überkam und daß sie sich einer Wertschätzung erfreuten, die fast einer Ehrung gleichkam. Doch das währte nicht lange; denn es waren eben die Fettwanstigen, die dann als erste unters Messer kamen… Vom Altar gestoßen, wanderten sie auf die Tische. Es begann die Tyrannei der Mageren und Sehnigen. Furchtbarer Terror brach aus, und die Rohheit erreichte ihren Gipfel.
    Wie komisch ist doch die menschliche Natur! Als man jene Frau verurteilte, dünkte allen, daß Arras die tiefsten Tiefen seines Unglücks und Elends erreicht habe. Kurze Zeit später erinnerten sich die Menschen an den Prozeß der Kindesmörderin als an ein Zeugnis für eine längst dahingeschwundene Idylle. Eine Stadt, in der Gerichte tätig sind, in der Gesetze entscheiden, in der Urteile vollstreckt werden, ist keine von Gott verlassene Stadt. In Arras, wo, wie man später errechnete, jeder dritte von Pest oder Hunger dahingerafft wurde, gab es nichts Göttliches mehr. Wir blieben allein mit unserem Menschsein, unseren Leibern, mit unserer

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