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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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»Trinken wir, Jean…«
    Mehr als ein Dutzend Personen, die in unserer Nähe saßen, hatten diesen Wortwechsel mitangehört. Mich schauderte, aber die anderen fühlten sich irgendwie gestärkt. Sie lechzten nach Macht und Durchtriebenheit, und es verlangte sie danach, sich dem Schutz eines Mannes anzuvertrauen, der ihnen Sicherheit garantieren konnte. Damals fanden sie, daß nur der Herrscher vertrauenswürdig ist, der seine Geheimnisse hat. Schon längst zweifelten sie an Albert. Seine Predigten und Gebete hatten das Unglück nicht abgewendet. Stets hatte er verlangt, daß Arras seinen Glauben auf den Himmel richtet, aber der Himmel war angesichts von Hunger und Pest gleichgültig geblieben. Daher waren die Menschen bereit, David zu vertrauen, der wohl keine Sündenvergebung verhieß, aber streng und mächtig, abgefeimt und kalt genug war, um der Drangsal eine Ende zu machen. Zwar war Arras ein wenig besorgt, daß David es bei der Kehle packen würde, aber was bedeutete das schon im Vergleich zu Sattheit und offenen Stadttoren?
    Ich meine, daß man eben hier die Ursachen dafür sehen muß, weshalb die Bürger zu mir kamen, nachdem sich der Jude Celus erhängt hatte. Drei Jahre waren bereits vergangen seit den furchtbaren Tagen des Hungers und der Pest, aber noch immer waren sie für uns lebendige Erinnerung, und noch immer lebte die starke Hoffnung fort, daß für den Fall der Not allein Fürst David die Stadt retten konnte. Allerdings war während dieser ganzen Zeit der Fürst nur zweimal in der Stadt aufgetaucht – und das, um die Tage an der Tafel, bei Vergnügungen und Jagden zu verbringen. Doch schon seine Anwesenheit hatte bewirkt, daß sich Arras sicherer fühlte.
    Nach dem Versiegen der Pest war das Leben rasch in seine alten Bahnen zurückgekehrt. Wieder lehrte Albert Demut und Sündlosigkeit, wieder forderte er zu Fasten und strengen Sitten auf, wieder suchte er den Beweis zu erbringen, daß wir die auserwählten Schäfchen in der Herde des Herrn seien. In dieser Zeit sprach er milde und gerechte Urteile, so als fürchte er, den Zorn Gottes zu erregen – was unzweifelbar damals geschehen war, als er der unglückseligen Kindesmörderin die Sterbesakramente verweigert hatte. Ehrlich gesagt, Albert war nach der vorangegangenen Bedrängnis gealtert und mißmutig geworden. Wie David es verlangt hatte, ließ er den Friedhof aus der Stadt hinaus verlegen, hatte doch der Bischof von Utrecht geschrieben: »Halte nicht den Platz der ewigen Ruhe inmitten der Stadtgebäude, denn die Toten erlöst das nicht, aber die Lebenden vergiftet es. Und laß eure Toten in Frieden! Handle nicht mit ihnen, wie Du das zu tun pflegst, um so die Lebenden besser mit Deinen Lehren vom ewigen Heil umgarnen zu können. Die Toten sind Dich für immer los, ehrwürdiger Vater; sie schlafen kregel in ihren Gräbern, tanzen mit dem Gewürm, und ihre Seelen hat der Herrgott zu sich genommen, und er ist es, in dessen Obhut sie stehen. Also stell Kreuze auf die Gräber, aber befiehl, jenseits der Mauern zu graben, was ich Dir hiermit ein für allemal streng gebiete…«
    Das war alles, was wir vom Fürsten zum Thema Stadtangelegenheiten erfuhren. Aber jeder rechnete damit, daß er, wenn er sich in einem schwierigen Augenblick auf den Hof berufen würde, er dort einen sicheren Hort fände. Und eben darum kamen die Bürger zu mir und riefen, ich solle an den Fürstenhof eilen und von dem großen Unrecht gegen den Juden Celus Kunde geben.
    Doch ich bin nicht geritten! Ich ging unter die Leute, so wie Albert es gewünscht hatte, und sagte ihnen dies:
    »Ich habe die Sache genau erwogen. Die ganze Nacht habe ich darüber nachgedacht, was an mir zu tun ist, und ich habe in Erwartung göttlicher Hilfe inbrünstig gebetet. Empört seid ihr zu mir gekommen wegen der vermeintlichen Ruchlosigkeit, in die sich Herr Albert eingelassen hat. Es ist dies ein Ausweis eures Christentums. Dennoch habe ich mir gedacht, daß eure Bravheit von Hochmut durchsetzt ist. Den göttlichen Richtspruch zu durchkreuzen, ist unsere Sache nicht. Wir sind ihm Demut schuldig. Immerhin ist es keine Frage, daß der Jude Celus das Haus Gervais’ verflucht hat. Wie sollte man es sich sonst erklären, daß ihm ein gesundes Pferd verreckt ist? Dieses alles ist über jeglichen Zweifel erhaben. Aber um die Gewissen zu beruhigen, hatte der Rat beschlossen, mit Akribie Untersuchungen durchzuführen. Kein Urteil ist auf Celus gefallen, und niemand hat das Wort ›schuldig‹

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