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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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ausgesprochen. Hätte es sich herausgestellt, daß die Anschuldigung aus den Fingern gesogen ist, wäre der Seiler zur Verantwortung gezogen worden. So hat man zunächst erst einmal, wie das üblich ist, Celus im Rathaus festgesetzt. Worin liegt da Ungebührlichkeit?«
    Hier unterbrach mich ein Bürger mit dem Ruf: »Man hat Celus nicht das Recht gegeben, sich zu verteidigen!«
    »Er war noch nicht gerichtet«, erwiderte ich. »Das waren die ersten Verhöre; er verantwortete sich vor dem Rat, der ihn verhörte. Mit dem Prozeß hätte man ihm zweifellos gestattet, sich nach Recht und Gesetz zu verteidigen… Er aber hat sich dem Gericht und der Stadt entzogen, indem er sich das Leben genommen hat. Auf diese Weise hat er sich schuldig bekannt. Flieht denn ein reiner Mensch vor der Gerechtigkeit in den Tod? Er war sicher, daß ihm die Schuld nachgewiesen würde, und so hat er sich selber die Strafe zugemessen.«
    Jemand ließ sich vernehmen: »Vielleicht traute er der Gerechtigkeit der Stadt Arras nicht und wollte sich Leiden ersparen.«
    Ein anderer rief:
    »Das kann nicht sein! Schließlich hat er sich damit zu ewiger Verdammnis verurteilt.«
    Wieder ein anderer schrie: »Sein ganzes Leben hat er im abscheulichen Judentum ausgeharrt, also war er ohnehin verdammt. Seine Ängste waren nicht unsere Ängste, und daher können wir nicht sagen, daß er sich zur ewigen Verdammnis verurteilt hat… Für den Juden war das kein Sturz in die Hölle, als er sich im Rathaus erhängte; vielmehr hat er sie verlassen und ist eingegangen in das, was ihm der jüdische Glaube verhieß… Man darf also nicht behaupten, daß er sich selber gerichtet hat. Vielleicht suchte er nur Stille und Frieden…«
    Der Mann, der diese Worte gesprochen hatte, war ein gesetzter, gutgekleideter Mensch. Er sah aus wie ein Jurist, erwies sich aber als der Vogt des Herrn de Saxe, dem der Graf vor Jahren fette Pfründe verliehen und der damit ein Riesenvermögen gemacht hatte. Ich kehre später noch einmal zu seiner Person zurück. Damals fragte ich ihn:
    »Du glaubst also, Celus habe der Gerechtigkeit der Stadt Arras nicht getraut?«
    »Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte er mit einem Ausdruck der Wachsamkeit in den Augen. »Vielleicht fürchtete er nur die Leiden, und weil er ein schwacher Mensch war, bar des christlichen Glaubens, machte er sich aus freiem Willen davon.«
    »War er deiner Meinung nach schuldig?«
    »Ich war nicht sein Richter, Herr«, antwortete der Vogt verwegen. »Und ich möchte es auch nicht sein. Mich bedrückt die Unsicherheit, immer laß ich die Möglichkeit eines Irrtums zu, und darum bleibe ich lieber abseits. Übrigens sind wir nicht zu dir gekommen, um über Schuld und Unschuld des Juden Celus mit dir zu streiten, sondern mit der Bitte um eine Botschaft an Fürst David. Er ist unser Herr, und wir vertrauen seiner Klugheit…«
    »Nun ja!« rief ich munter. »Aber überlegt doch noch einmal! Gegen wen ruft ihr denn den Bischof von Arras? Der Jude Celus liegt tot im Rathauskeller. Man kann ihn nicht wieder lebendig machen – und vielleicht ist es so Gottes Wille! Wenn also der Fürst nach Arras kommen soll, muß man ihm einen Grund für seine Reise nennen. Für wen und gegen wen soll er in die Stadt kommen? Wenn wir den Fall nicht klarstellen, wird der Fürst ein Gericht halten müssen, wo auf der einen Seite der tote Jude steht und auf der anderen die Stadt Arras. Wenn das Recht aufseiten der Stadt Arras ist, wozu den Fürsten mit einer weiten und beschwerlichen Reise plagen? Ist aber das Recht auf seiten des Juden, dann wehe uns! Ein einziger unter euch hat vernünftig geäußert, daß er Unsicherheit empfinde und einen Irrtum für möglich halte. Wenn er sich diese Last auch selber aufbürdet, so kann er sie damit dem Fürsten doch nicht abnehmen. Der Fürst ist – wie wir alle – auch bloß ein Mensch. Meint ihr, daß Gott ständig aus seinem Munde spricht? Vor hundert oder zweihundert Jahren, wo die Welt verworren, aber zugleich erhabener war als heute, hätte man das glauben können. Heute sind wir uns unserer Unvollkommenheit bewußt. Ich gehöre zu den Freunden des Fürsten, was mir Ehre und Freude ist. Aber ich sage euch offen, weil mir Wahrheitsliebe teurer als alles ist, daß man den Bischof nicht herbeirufen sollte. Wir gehören nicht zu den bevorzugten Schäfchen seiner Herde. Darüber hinaus erfreuen wir uns etlicher Privilegien, die anzutasten eine schwere Sünde wäre. Die Stadt Arras hat einen eigenen Rat,

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