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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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nenne es, wie ich will«, sagte Edith. Vor ihrer Unabhängigkeit von ihm schien es ihm stets unbehaglich zu sein.
    »Ja, ich glaube auch, daß es bloß Sex ist«, sagte Utsch. Damit überraschte sie mich, aber dann dachte ich, daß sie bloß versuchte, ihm aus der Patsche zu helfen. Er beharrte immer so darauf, sich von uns anderen abzusetzen.
    »Hör mal, Severin, wenn du unglücklich bist, machen wir jetzt gleich mit der ganzen Sache Schluß«, sagte ich. Das war seine unklare Art, sich auszudrücken: »Die ganze Sache.« Ich fragte ihn: »Bist du unglücklich, Severin?«
    Aber wenn Severin je von Gott befragt worden wäre, hätte er eine Möglichkeit gefunden, auch Ihm auszuweichen. »So einfach ist das nicht«, sagte er. »Ich will bloß nicht, daß es einem von uns über den Kopf wächst.« Ich weiß, daß Edith sich dadurch gekränkt fühlte. Sie hatte ihm bereits gesagt, wie sehr sie sich unter Kontrolle hatte.
    »Ich glaube, wir sind alle ziemlich ausgeglichen, Severin«, sagte ich. »Niemand wird irgendwen verlassen oder mit jemand anders durchbrennen.«
    »Das weiß ich doch«, sagte er. »Ich meine nichts dergleichen.«
    »Na, was meinst du dann?« fragte ihn Edith; er brachte sie zur Verzweiflung.
    Er tat das mit einem Achselzucken ab. »Ich schätze, ich habe das Gefühl, daß ich mir für uns alle Sorgen machen muß«, sagte er, »weil anscheinend niemand sonst sich über irgend etwas Sorgen macht. Aber lassen wir uns Zeit damit; alles braucht Zeit.« Ich war wütend. Er wirkte so unsensibel - zum Beispiel Utsch gegenüber. Seine Art, unsere Beziehung auf »bloßen Sex« zu reduzieren, muß sie schon verletzt haben. Und da er sich eindeutig so verhielt, als sei er unglücklich, weiß ich, daß Utsch der Gedanke gekommen sein muß, sie sei es, mit der er unglücklich war.
    Edith lachte. »Na, wir müssen uns bestimmt keine Sorgen machen«, sagte sie. »Du machst dir genügend Sorgen für alle.« Ich lachte; Severin lächelte, aber von diesem Lächeln wäre ich nicht gerne geweckt worden.
    Utsch sagte später, sie sei auf Edith wütend gewesen, weil sie Severin gegenüber einen Ton angeschlagen habe, den man vielleicht einem Kind gegenüber anschlägt, aber ich fand, er hatte es verdient. Als wäre Severin nicht im Zimmer, sagte uns Edith, wir müßten uns keine Sorgen machen, wenn Severin manchmal unglücklich wirke. »Er ist sowieso unglücklicher als wir«, sagte Edith leichthin, »und es ist ein Fehler zu glauben, er sei wegen irgend etwas unglücklich. Ich glaube, wir alle sind einfach glücklichere Menschen als Severin«, sagte sie und sah ihn an - Bestätigung heischend? Er hatte einmal das gleiche von sich gesagt, aber nun wirkte er mürrisch, als Edith es sagte - als nähme er, typischerweise, nie etwas ernst, was er sagte, sondern müsse Edith glauben.
    Es war ein peinlicher Augenblick, und plötzlich hatte Utsch ihren Mantel an und stand zwischen Severins Sessel und der Stelle, wo ich mit Edith auf dem Sofa saß. »Wer von euch bringt mich nach Hause?« fragte sie. »Wer kriegt mich heute nacht?«
    Nun ja, wir mußten alle lachen. Und ich stand auf, verbeugte mich und sagte zu Severin: »Bitte, die Ehre gebührt Ihnen«, und er stand auf und verbeugte sich und zögerte - und ich dachte, er sei vielleicht drauf und dran zu sagen: »Bring deine gottverdammte Frau selber nach Hause und laß mir meine!«
    Aber mit einem Blick auf Edith, der im wesentlichen scherzhaft war, sagte er: »Erlauben Sie mir, Ihnen auch einmal einen solchen Gefallen zu tun.« Und er hob Utsch hoch, legte sie sich mühelos über die Schulter und ging unter ihrem quälenden Gelächter, das draußen erstarb.
    An der Art, wie Edith und ich uns dann zulächelten, spürte ich, daß es nicht Zeit war, was Severin Winter brauchte. Ich glaube, wir waren uns seiner als der treibenden Kraft bewußt (jeder einzelne von uns hätte sich ebenfalls Geltung verschaffen können, aber wir schienen das nicht zu brauchen) - und wir wußten, daß er vielleicht beschließen würde, Schluß zu machen. (Jeder einzelne von uns hätte das tun können, aber wir hatten das Gefühl, wenn jemand Schluß machen würde, dann Severin.)
    Gewöhnlich redeten Edith und ich noch lange, nachdem wir allein waren, über uns und über das Schreiben. Ich las ihr etwas aus meiner neuen Arbeit vor; gelegentlich beurteilte ich ihre neuesten Sachen positiv. Es war oft zwei Uhr morgens, wenn wir die Uhrzeit bemerkten und wußten, daß Severin in einer Stunde oder so zu

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