Eine Mutter fuer die kleine Cassie
das Mädchen konnte genauso stur sein wie ihr Vater.
Der Rest der Fahrt verlief schweigend.
Als sie in der Garage hielten, glitt Cassie vom Sitz und verschwand mit Brittany in ihrem Zimmer. Dort blieb sie den ganzen Nachmittag und kam nur einmal heraus, um sich ein Glas Orangensaft zu holen.
Sharon begann Kekse zu backen und hoffte, dass der Duft die Kleine in die Küche locken würde, doch das geschah nicht. Schließlich starrte sie auf das Blech. In der Stille einer fremden Küche, als Stiefmutter einer Tochter, der sie offenbar nicht willkommen war.
Mit jeder Meile, die Grant sich am Abend seinem Haus näherte, wurde die innere Anspannung größer.
Es ist doch nur Sharon, die dort auf dich wartet, sagte er sich während der ganzen Fahrt. An seiner Hand glänzte der goldene Ring im matten Licht der Wintersonne. Kalt und eng lag er um den Finger und fühlte sich plötzlich an wie ein echter Ehering.
Die Fenster waren erleuchtet und tauchten die schneebedeckte Einfahrt in warmes Licht.
Sharons kompakter Kombi stand in dem Teil der Garage, den er sonst benutzte. Als er die Tür zum Haus öffnete, empfingen ihn Wärme, leise Musik und der Duft des Abendessens.
Die Atmosphäre war vollkommen anders als die kalte Stille, die er gewöhnt war. Verwirrt blieb er stehen, bevor er eintrat und die Tür hinter sich schloss. Er streifte die Schuhe ab und schob sie unter die Bank. Dann hängte er die Jacke auf und stellte die Aktentasche ab.
Als ihm bewusst wurde, dass er sich absichtlich Zeit ließ, gab er sich einen Ruck und ging in die Küche. Sharon war dabei, den Tisch zu decken. Sie war allein.
“Sharon?” fragte er besorgt. Sie drehte sich zu ihm um, und er sah, dass sie geweint hatte.
“Was ist los?”
Sharon senkte den Blick. “Nichts”, erwiderte sie leise. “Ich bin nur ein wenig erschöpft, das ist alles.” Sie sah wieder auf. “Offenbar will Cassie nichts mit mir zu tun haben.”
Er spürte, wie sehr sie sich nach seinem Trost sehnte.
Er erstarrte. So etwas wie Panik stieg in ihm auf. Er sollte zu ihr gehen. Er konnte es nicht.
Wie angewurzelt stand er da. Seine Zunge war wie gelähmt.
Dies ist Sharon, sagte er sich. Deine Freundin. Du hast sie in all den Jahren oft genug getröstet, ob sie nun ein blutendes Knie oder ein gebrochenes Herz hatte.
Schließlich zwang er sich, ihr eine Hand auf die Schulter zu legen. Sie sah ihn an, und er legte die Arme um sie, als wäre es das Natürlichste auf der Welt.
Sie war warm und weich und …
Hastig verdrängte er den Gedanken und musste sich beherrschen, um sie nicht von sich zu schieben. Er schluckte. Ein schmerzhaftes Gefühl erfasste ihn. Angst? Reue? Empfindungen, an die er längst nicht mehr glaubte? Er hatte weder Antworten noch die Zeit, nach ihnen zu suchen.
Schließlich war es Sharon, die sich von ihm löste. Sie straffte die Schultern und lächelte müde. “Könntest du Cassie bitten, sich die Hände zu waschen? Das Essen ist gleich fertig.”
Und dann drehte sie sich zum Herd um.
Sie hinterließ in Grant ein Gefühl der Leere, das er nicht verstand. Und von dem er nicht sicher war, ob er es überhaupt verstehen wollte.
4. KAPITEL
Das Abendessen verlief schweigend, ganz anders, als Sharon es sich ausgemalt hatte. Keine Wärme, kein Lachen. Statt dessen benahmen sie sich fast wie Fremde.
Die Erschöpfung drohte Sharon zu überwältigen - der Gipfelpunkt einer gefühlsbeladenen Woche und eines enttäuschenden Nachmittags. Ihr fehlte die Kraft zum Weitermachen, aber sie wusste, dass sie noch eine Weile durchhalten musste. Das Pochen über ihrem Auge drohte sich zu einem bohrenden Kopfschmerz zu entwickeln.
Cassie stocherte lustlos auf ihrem Teller herum und vermied es sorgfältig, Sharon anzusehen. Grant aß zwar, aber je länger das Schweigen in der Küche anhielt, desto finsterer wurde sein Blick. Sharon überlegte verzweifelt, warum Cassie böse auf sie war, und fand keinen Grund.
Verschwunden war das liebende kleine Mädchen, das stets zu ihr gekommen war, und Sharon wusste nicht, wie sie es zurückgewinnen konnte. Natürlich hatte sie mit ein paar peinlichen Momenten gerechnet, bis Cassie sich an sie gewöhnt hatte, aber dass es so schlimm werden würde, hatte sie nicht erwartet.
Das Schweigen wurde von Minute zu Minute unerträglicher, unterbrochen nur vom Geklapper der Bestecke. Cassie schnitt ein Fleischklößchen in Stücke und begann sie zu zerdrücken. Sharons Nerven waren zum Zerreißen gespannt. “Ich glaube, du bist
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