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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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sich derartig verändert, dass es keinem Menschen mehr in den Sinn kommen würde, sich dort sexuellen Aktivitäten zu widmen.
    Paolo sah mich wortlos an, wie man jemanden ansieht, der völlig abwegiges Zeug redet.
    Mühsam erreichten wir das Herzstück des Corso Vittorio Emanuele, zwischen der Präfektur und dem Teatro Comunale, das nach einer der wenigen Berühmtheiten von Bari benannt ist: Niccolò Piccinni, ein Komponist des 18. Jahrhunderts. Bari ist sehr stolz auf diesen Sohn, Piccinni aber dürfte nicht sehr zufrieden mit Bari gewesen sein, denn er nutzte die erstbeste Gelegenheit, um sich aus dem Staub zu machen und sich nie wieder blicken zu lassen. Er studierte in Neapel, wurde Komponist, schrieb einige der wichtigsten Werke der Opera buffa seines Jahrhunderts, ging nach Paris und kehrte schließlich nach Neapel zurück, kurz: Er reiste eine Menge herum für seine Zeit. Aber in Bari ward er nicht mehr gesehen. Die Baresen haben ihm das nicht übel genommen; sie haben ihm eine Statue gewidmet, eine wichtige Straße und, wie gesagt, das Stadttheater nach ihm benannt, und sie haben eine Tafel an dem Haus angebracht, in dem er geboren wurde und wo er aufwuchs.

    Wir fuhren am Piccinni vorbei, wo gerade eine Vorstellung zu Ende war und das Chaos durch die herausströmenden Zuschauer noch größer war als sonst. Wir kamen nur sehr langsam vorwärts, und während Paolo und Giampiero sich weiter unterhielten, klinkte ich mich innerlich aus. Ich hörte nur noch auf das Geräusch ihrer Stimmen, hörte, wie sich laute mit leisen Tönen mischten, nahm den Bareser Akzent Giampieros wahr und den fremden, den Paolo mitgebracht hatte. Ich war hypnotisch angezogen von dem Bildschirm des Navigationsgeräts. Ich selbst hatte nie eins besessen, und obwohl ich natürlich viele von ihnen gesehen hatte, hatte ich mich nie näher mit der Technik beschäftigt.
    An jenem Abend geschah etwas Merkwürdiges. Nachdem ich die Palmen entdeckt hatte, entdeckte ich das Navigationsgerät und seine Funktionsweise. Auf dem Monitor sah man, bunt und dreidimensional, einen Kartenausschnitt der unmittelbaren Umgebung, durch die das Auto gerade fuhr: unsere Straße, die Parallel- und die Seitenstraßen. Links die Via Piccinni, rechts, jenseits des Altstadtufers, die Strada del Palazzo dell’Intendenza, danach, quer dazu, Via Sparàno da Bari, Via Andrea da Bari und Via Roberto da Bari.
    Nebenbei erwähnt, waren die Herren Sparàno und Andrea da Bari Rechtsgelehrte, deren wichtigste – und übrigens auch einzige – Großtat darin bestanden hatte, die mittelalterlichen Bräuche Baris zu sammeln und aufzuschreiben. Darf ich noch deutlicher werden? Die Tatsache, dass einige der wichtigsten Straßen der Stadt Rechtsgelehrten gewidmet sind, hat mich noch nie wirklich begeistert.
Ich hätte es gern gesehen, wenn das baresische Mittelalter, oder auch eine andere Epoche, mehr zu bieten gehabt hätte für die Toponomastik der Stadt. Aber dem ist leider nicht so. Unglücklicherweise gibt es keine Hinweise auf einen großen Dichter, einen großen Maler oder wenigstens einen großen Juristen.
    Durch jene Straßen – nach wem auch immer sie benannt sein mochten – war ich Tausende von Malen gegangen, und doch erschien es mir, als entdeckte ich ihre Existenz erst an diesem Abend, dank des leuchtenden Monitors. Die Namen nahmen auf dem bunten Schirm Gestalt an und ließen Phänomene, die bis dahin nichts als vage, flüchtige Erscheinungen gewesen waren, wahr und konkret werden. Die Straßennamen, der Sinn dieser Orte, meine eigene Position darin.
    Es war wie eine Offenbarung, eine leichte Euphorie – und dann war da noch ein anderes Gefühl, das ich nicht genau benennen konnte. Als gäbe es noch etwas Wichtiges zu verstehen, das zum Greifen nah war und bei dem mir nur der metaphorische Millimeter fehlte, um es zu fassen zu bekommen.
    Ich bemerkte ganz nebenbei, dass Paolo und Giampiero gerade über die Fußballmannschaft von Bari sprachen – ein Thema, das in meiner persönlichen Hitliste die gleiche Position einnimmt wie »Das Alltagsleben der Opossums« und »Neue Horizonte im Anbau von Roter Bete« -, während das Auto sich endlich dem Verkehr des Corso Vittorio Emanuele entwunden hatte und auf die Piazza Massari zurollte.
    Die Navigation informierte mich, dass parallel zur
Piazza Massari die Via Boemondo lag, und das war das erste Mal, dass mir das auffiel. Ich meine: Ich wusste natürlich, dass es irgendwo in der Stadt, ganz in der Nähe von Piazza

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