Eine Nacht in Bari
aber ich riss mich zusammen, während ich mir vorstellte, wie ich, von der Krankheit und dem langen Leidensweg gezeichnet, an jenen absurden Abend und meinen hirnlosen Leichtsinn zurückdenken würde. Ich war frohen Mutes aus dem Haus gegangen, kerngesund und voller Lebensfreude, mit einer großartigen Zukunftsperspektive, und würde mich jetzt mit einer schlimmen Infektion auf den Rückweg machen, mit einer Art tickender Zeitbombe im Blut. Sehnsüchtig würde ich an die Zeit vor jenem verhängnisvollen Abend zurückdenken. An meine Kindheit, meine glückliche Jugend (na ja, während meiner Jugend war ich zwar nicht besonders glücklich gewesen, aber ich wollte jetzt nicht so pingelig sein), an meine Eltern, an meinen Bruder. An meine erste Freundin, die so süß war und bestimmt nicht herumlief und Orgien mit Perversen, Drogensüchtigen und Schwulen veranstaltete.
Ich weiß, dass es nicht politisch korrekt ist und nicht links, sondern ziemlich primitiv. Aber in jenem Moment puren Horrors dachte ich das.
Wer weiß, fragte ich mich, ob es nicht etwas nützt, wenn man sich sofort sehr gut wäscht nach dem, was geschehen ist.
Mit dem letzten Funken Klarheit, der mir verblieben war, schloss ich diese Möglichkeit aus und sagte mir, dass
ich trotzdem auf jeden Fall fortwollte, fort von den Kleiderhaufen und den Bergen von Gegenständen zweifelhafter Herkunft und vor allem zweifelhafter Hygiene. Deshalb sagte ich, dass ich gehen müsste, weil ich in zwei Tagen eine Prüfung hätte und noch einen Tag zum Lernen bräuchte. Hatte ich ihr nicht gesagt, dass ich erst vor drei Tagen eine Prüfung gemacht hatte? Scheiße, ja, das hatte ich ganz vergessen. Doch, ja, ich hatte vor drei Tagen eine Prüfung gemacht und hatte jetzt schon wieder eine. Ich hatte sie so dicht hintereinander gelegt, weil ich schnell fertig werden wollte, also, wie auch immer, entschuldige, aber ich muss jetzt los.
»Ich fand es ganz toll mit dir. Wir müssen uns bald wiedersehen, ja?«
Na klar, ganz bestimmt. Wir sehen uns ganz bald wieder und dann machen wir eine Orgie mit Hans, Mario und ein paar von ihren Freunden. Was Hausgemachtes, mit ungeschütztem Sex, infizierten Nadeln und was uns sonst noch alles einfällt! Und wenn wir fertig sind, gehen wir alle in die Osteria »Zum fröhlichen Unker«.
»Ja, bald. Gib mir deine Telefonnummer, dann ruf ich dich gleich nach der Prüfung an.«
Darauf kannst du Gift nehmen.
Ich holte mir kein Aids. Und eine Zeitlang mied ich das Maltese. Wie man sich vorstellen kann, wollte ich Bianca nicht begegnen (ich sah sie tatsächlich erst viele Jahre später wieder, auf einer Hochzeit mit mindestens zweihundert Gästen. Sie ist Ärztin und soll auch sehr gut in ihrem Job sein. Wir wurden einander vorgestellt, aber sie
gab nicht zu erkennen, ob sie mich wiedererkannte oder nicht. Nachdem wir ein paar höfliche Worte gewechselt hatten, verschwand sie in der Menge).
Ich hatte nicht den Mut, sie nach Mario und Hans zu fragen.
FÜNF
Giampiero rangierte vorsichtig aus dem Parkplatz heraus und schlug die südliche Richtung ein. Wir fuhren an der Uferpromenade entlang, vorbei an den faschistischen Gebäuden (die ehrlich gesagt gar nicht so hässlich sind, sondern eine gewisse stilistische Würde besitzen), dem Verwaltungsgebäude der Provinz mit der Pinakothek, der Luftfahrtbehörde, den Carabinieri und dem Forstwirtschaftsgebäude; schließlich waren wir auf der Höhe des Strandbads »Pane e pomodoro« angelangt und kurz darauf beim Park von Punta Perotti.
»Halt, war das nicht hier, wo sie diese Häuser abgerissen haben?«
»Doch, und wenn du mich fragst, haben sie eine Riesendummheit gemacht«, meinte Giampiero. »Viele meiner Klienten hatten hier Wohnungen gekauft und waren auf einmal angeschmiert, vollkommen schuldlos.«
»Sie hatten keine Baugenehmigung«, sagte ich nach einer kurzen Pause, in der ich mich gefragt hatte, ob ich Lust hatte, mit Giampiero eine Diskussion über die juristischen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe des Abrisses der Anlage von Parco Perotti anzufangen. Zum Glück beließ er es dabei, die Achseln zu zucken und den Kopf zu schütteln.
Die Geschichte war im Wesentlichen folgende: Ein paar große Bareser Bauunternehmer hatten am südlichen Ende der Uferpromenade eine Anlage mit luxuriösen Hochhäusern gebaut, die das Stadtbild verunstaltete. Gerichtliche Ermittlungen hatten dann – noch im Laufe der Bauarbeiten – ergeben, dass die Baugenehmigungen nicht
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