Eine Nacht wie Samt und Seide
gut wie stumm stolperte Pris über einen Gang, soweit sie das beurteilen konnte. Der Korridor lag am Kopf der obersten von einer Reihe enger Treppen. Hinter ihr und neben ihr war Wallace, eine Hand um ihren Arm, und lenkte sie in die gewünschte Richtung.
»So, da wären wir.«
Er ließ sie stehen, griff an ihr vorbei, um eine Tür zu öffnen, und schob sie über die Schwelle.
Sie stolperte wieder; im Zimmer war der scharfe Geruch stärker, den sie schon beim Betreten des Gebäudes wahrgenommen hatte. Schweiß, Männer und ein seltsamer Moder. Sie bekam so wenig Luft, dass sie fürchtete, ohnmächtig zu werden. Schwankend blieb sie stehen, hielt den Atem an und kämpfte gegen die auf sie eindringende Schwärze. Dies war nicht der geeignete Zeitpunkt für Empfindsamkeit. Sie würde jede Unze Verstand, Kraft und Mut brauchen, die sie aufbringen konnte, um Wallace und dem, was er für sie geplant hatte, zu entkommen.
Sie spürte, wie er an dem Knoten zog, der die Seide vor ihrem Gesicht hielt. Einen Moment später lockerten sich die Falten und fielen. Während Wallace das lange Band aufwickelte, befeuchtete sie sich die trockenen Lippen mit der Zungenspitze, blinzelte und schaute sich um.
Auf den ersten Blick glaubte sie, ihre Sinne hätten sie getäuscht und Wallace hätte sie die Hintertreppe eines Stadthauses hochgebracht; der Raum schien ein opulent eingerichtetes Schlafzimmer mit einem großen Himmelbett, roten Samtvorhängen und karmesinroter Decke zu sein; die Wände zierte eine blutrot gemusterte Tapete. Pris blinzelte.
Der Samt war fadenscheinig, billig, der Satin schäbig und fleckenübersät. Das Bett schien stabil genug, aber es war alt und das Holz verkratzt. Der Leinenüberzug der Kissen war abgenutzt und vergilbt, die Spitzenränder eingerissen und schmutzig.
Alle ihre Sinneseindrücke ließen nur einen Schluss zu.
Wallace band ihre Hände los.
Sie wirbelte herum, aber er stand zwischen ihr und der Tür. »Wo sind wir hier?«
Wenigstens funktionierte ihre Stimme wieder und klang fest und sicher.
Wallace beobachtete sie genau. »Dieses Etablissement ist gemeinhin als Mrs Millers Zuflucht bekannt.«
Sie hob eine Braue, unverkennbar argwöhnisch.
Wallace lächelte. »Stimmt. Mrs Miller ist eine Bordellwirtin, und ihr Haus ist Zuflucht nicht für die Mädchen, die hier arbeiten, sondern für die Herren, die sie aufsuchen, um ihrer Vorliebe für das weibliche Geschlecht auf verschiedene Weisen nachzugehen. Manche frönen auch eher ... ungewöhnlichen Lastern. Zum Beispiel ist eine Spezialität des Hauses das Entjungfern von jungen Frauen aus gutem Hause. Eine erstaunlich hohe Zahl von ihnen gerät in Schwierigkeiten und findet sich hier wieder, wo sie sich feilbieten. Sie, meine Liebe, sind natürlich nicht verarmt, aber«, er zuckte mit den Achseln, »Sie sind trotzdem hier gelandet.«
Pris unterdrückte einen Schauer. Sie war keine Jungfrau, aber sie konnte nicht erkennen, inwieweit ihr das helfen sollte. Sie machte einen Schritt nach hinten, verschränkte die Arme vor sich und sah sich ihre Umgebung genauer an. Es gab keine andere Tür als die, vor der er stand. Und kein Fenster.
Dillon würde kommen; Russ auch. Das wusste sie tief in ihrem Herzen, spürte es tief in ihrem Innern. Sie musste so lange aushalten, bis sie eintrafen.
Sie blickte Wallace an. »Warum hier? Warum so? In Hinblick auf Ihre Rache an Russ und Dillon fehlt dabei doch etwas, oder? Zum Beispiel direkte Betroffenheit.«
Wallaces’ Lächeln erfüllte sie mit Eiseskälte. »Ganz im Gegenteil, meine Liebe. Ich schmeichle mir, dass die Rache, die ich ersonnen habe, Ihren Verlobten und Ihren Bruder dort treffen wird, wo es am meisten schmerzt.« Er verlagerte sein Gewicht, musterte sie, ließ seinen Blick über sie wandern, nicht wollüstig, sondern kühl berechnend, mit nicht mehr Gefühl, als ob er ein Stück Fleisch betrachtete.
»Bedenken Sie bitte«, seine Augen wanderten aufwärts, bis ihre Blicke sich trafen, sie waren blass und bar jeden Gefühls, »wie viel Ihr Verlobter in Sie investiert hat. Seine Liebe.« Wallace schnaubte abfällig. »Seinen Stolz auch, der Narr. Insgesamt sind Sie ihm sehr, sehr wichtig geworden. Was Ihren Bruder angeht - er ist nicht nur Ihr Bruder, sondern sogar Ihr Zwillingsbruder. Sie sind seine Zwillings schwester - seine Gefühle für Sie müssen tief gehen, müssen darüber mitbestimmen, wie er sich selbst sieht. Wie von Caxton sind Sie auch ein Teil von ihm.«
Wallaces’ Miene wurde
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