Eine Nacht wie Samt und Seide
wusste, sie kannte die Antworten auf beide Fragen sehr wohl. Sie drehte sich um und starrte Harkness hinterher.
Hatte er seinen Fehler bemerkt? Ihr Haar hatte sich erst völlig gelöst, nachdem sie angehalten hatte; Harkness konnte es nicht gesehen haben, und aus der Entfernung, auf dem Pferderücken, so gekleidet, wie sie es war, wäre sie nicht leicht von Russ zu unterscheiden.
Harkness rechnete ja nicht damit, dass sie hier war, wusste nicht einmal, dass es sie gab.
Dennoch, wenn er dachte, sie sei Russ ... Pris schaute zu Dillon. Sie kannte Harkness’ Ruf; der Mann war durch und durch schlecht und ganz bestimmt nicht leicht einzuschüchtern. Warum hatte er den Schwanz eingekniffen und das Weite gesucht, statt Russ weiterzuverfolgen?
Dillon hatte nicht in Harkness’ Richtung gestanden; ihr Blick glitt zu Dillons Pferd. Der Rappe war ein außergewöhnliches Exemplar seiner Art, hoch gewachsen, mit langen, eleganten Linien und vollkommen schwarz. »Reitest du ihn oft?«
Dillons Augen blieben auf ihr Gesicht geheftet. »Ja.«
»Also ist er in der Stadt bekannt?«
Er antwortete nicht, erst nach einem Moment erwiderte er: »Willst du andeuten, dass der Mann mich wegen Solomon erkannt hat?«
Das war die einzige Erklärung für Harkness’ jähen Rückzug. Sie zuckte die Achseln, beugte sich vor und wollte sich ihren Hut schnappen.
Seine Finger fassten unwillkürlich fester zu; Dillon hielt ihn einen Moment länger fest, dann ließ er ihn los. Durch immer noch zusammengekniffene Augen beobachtete er, wie sie ihr Haar hochschob und den Hut darüberstülpte. Das Resultat bestach nicht wirklich, aber sie war offenbar zufrieden, denn sie nahm die Zügel, schaute ihn an und nickte zum Abschied.
»Guten Tag, Mr Caxton.«
Er schnaubte abfällig. »Dillon. Ich werde dich nach Hause bringen.«
Sie reckte das Kinn; sie warf ihm einen scharfen Blick von der Seite zu, als er Solomon neben die erschöpfte Stute lenkte. »Das wird nicht nötig sein.«
»Trotzdem.« Er konnte sich nicht davon abhalten, grimmig hinzuzufügen: »Für den heutigen Tag hast du genug Abenteuer erlebt.«
Sie schaute nach vorne, würdigte diese Feststellung keiner Antwort.
Es wäre ihm viel lieber gewesen, sie hätte darüber mit ihm gestritten. Er war in Versuchung geführt, ihr irisches Temperament absichtlich zu reizen, doch das Wissen, dass er einen Vorwand suchte, sie zu schelten, um dann ein Recht wahrzunehmen, das ein Teil von ihm längst entschieden hatte, dass es ihm zustand, hielt ihn zurück.
Er hatte nie zuvor so etwas verspürt, war nie auch nur annähernd empfänglich für so etwas gewesen. Warum sie - ausgerechnet sie, die mühelos so viele Gefühle in ihm weckte - so eine heftige, beinahe brutale Reaktion auslöste, einfach indem sie unvorsichtig war und sich in Gefahr begab.
Resolut verdrängte er das Verlangen, sie zu bestrafen - er wusste, dieser Wunsch war primitiv, und es war in diesem Fall höchst unwahrscheinlich, dass sie anders als mit hochmütiger Verachtung darauf reagieren würde.
Mit zusammengebissenen Zähnen blickte er sie an, ritt an ihrer Seite.
Nach einem Augenblick schaute er wieder nach vorne. Vertrauen - und zwar ihres -, das war es, was er erlangen wollte. Es blieb noch Zeit genug, nachdem er in ihre Geheimnisse eingeweiht war, sie mit der anderen Seite von sich bekannt zu machen - die nur bei ihr zum Vorschein kam.
Die sie provozierte.
Schweigend neben ihm reitend, war sich Pris seiner mühsam aufrechterhaltenen Beherrschung sehr wohl bewusst. Dies reizte sie, es fühlte sich an, als ob man das Fell gegen den Strich bürstete. Sie fühlte sich in Versuchung geführt, ihrem Temperament die Zügel schießen zu lassen, sich mit ihm zu streiten, aber sie war einfach zu erschöpft, zu müde, um so närrisch und waghalsig vorzugehen.
Gleichgültig, wie verführerisch der Gedanke auch war.
Es war, wie neben einem Tiger zu reiten.
Aber Harkness hatte auf sie geschossen, weil er dachte, sie sei Russ, und er wollte sie tödlich treffen. Die Erkenntnis breitete sich in ihr aus, wurde schärfer und eisiger mit jeder Meile, die sie ritten.
Die Stute trottete tapfer weiter; Dillons Pferd hielt neben ihr Schritt - das Tier war herrlich ausgebildet. Obwohl es am liebsten rennen wollte, gehorchte es seinem Besitzer und ging wie ein Gentleman ordentlich neben ihrer abgehetzten Stute. Beinahe beschützend.
Fast wie sein Herr.
Die Kälte in ihr nahm zu. Sie konnte es sich nicht leisten, sich auf Dillon Caxton zu
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