Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
Vom Netzwerk:
er.«
    Nell begriff, dass Simon nach einem Ausweg tastete. Es sollte auf keinen Fall so aussehen, als ob er irgendwelche freundlichen Gefühle gegenüber dem alten Rushden hegte. Aber um sie selbst nicht dabei zu verletzen, ging er mit großer Vorsicht vor.
    Plötzlich dachte sie, dass er netter war, als sie es je bei einem Mann seines Standes für möglich gehalten hätte.
    Ohne zu trinken führte sie das Glas an die Lippen.
    Sie mochte diesen Mann.
    Die Erkenntnis brauchte einen langen, stärkenden Schluck.
Mögen
war nicht gerade ein Gefühl, dem viele Menschen hohen Wert beimaßen. Zusammen mit allem anderen, was Simon St. Maur in ihr auslöste – Anziehung, Interesse, Bewunderung, Dankbarkeit –, ließ freundliche Zuneigung die Balance ihrer Gefühle zu etwas Leidenschaftlicherem umkippen. Eine gierige Sehnsucht erwachte und brannte in ihrem ganzen Körper. Sie war unfähig, ihre Aufmerksamkeit von seinem markanten Profil abzuwenden.
    »Sprechen Sie weiter«, sagte sie nur.
    Simon nickte abwesend, den Blick auf das Glas in seiner Hand gerichtet. »Feigheit war fast eine fixe Idee von ihm. Ich glaube, er hatte furchtbare Angst, dass man ihn für … schwach halten konnte. Keine Ahnung warum, aber das war seine Obsession. Und deshalb sah er überall Schwäche, an den ungewöhnlichsten Orten.« Er warf ihr einen kurzen, vielsagenden Blick zu. »In harmlosen Neigungen. Einem Blick für Schönheit. Interesse an Kunst oder Musik.«
    Nell nickte, um ihm zu signalisieren, dass sie verstanden hatte. »Manchmal höre ich Sie Klavier spielen.« Neben dem Ballsaal gab es einen kleinen Raum mit Instrumenten, darunter ein schwarz glänzendes Klavier. Während der Stunden mit Palmier hörte sie ihn manchmal spielen, ein tiefer, melodischer Kontrapunkt zu Mrs Hemples kurzatmigen Melodien.
    »Ja«, sagte er. »Tatsächlich war Ihre Mutter meine erste Lehrerin. Sie war sehr begabt.«
    »Wirklich?« Sie gab ihm die Möglichkeit, etwas zu sagen, und fügte dann vorsichtig hinzu: »Sie spielen wirklich hübsch.«
    Er lächelte leicht. »Danke.«
    Er verdiente etwas Besseres. »Sie spielen … wunderschön.«
    Sein Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen, als er sich ihr zuwandte. »Hören Sie nicht auf.«
    Sie lachte. »Ich meine es ernst«, sagte sie, dann zögerte sie. Er sollte nicht denken, dass sie ihm nachspionierte. »Vor ein paar Nächten, kurz nachdem ich mein Tablett mit dem Abendessen bekam, habe ich Sie gehört. Sie spielten ein Stück, das so traurig war, dass ich beinahe geweint hätte.« Nell hatte an Mum gedacht, und es war, als wäre ihr die Musik direkt in die Seele gestiegen und hätte jede schmerzende Faser darin berührt. »Es ging von sehr hoch nach ganz tief, ganz plötzlich – als würde einem das Herz schwer, als würde es brechen.«
    Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, bereute sie es schon, und ihr Gesicht wurde brennend heiß. Was für dummes Geschwätz.
Ein gebrochenes Herz.
    Aber er sagte nur: »Oh.« Und dann schwieg er so lange, dass sie glaubte, er würde nichts mehr dazu sagen. Sie sahen sich in die Augen. Es war unerklärlich, aber sie konnte den Blick nicht von ihm wenden.
    »Sie beschreiben es sehr gut«, sagte er. »Als ich das Stück schrieb, war mein Herz gebrochen.«
    Dieses Eingeständnis – so unvorhersehbar, so verdammt ehrlich – bohrte sich ihr wie ein Nagel ins Herz. Nell starrte ihn an.
    Er hatte diese Musik geschrieben?
    Eine Sekunde später begriff sie, was das bedeutete. »Die Frau, die sie geliebt haben?«
    »Ja.« Als sie ihn lächeln sah, beschloss sie, nie wieder auf seine Miene zu vertrauen. Genau jetzt sah er lässig und charmant aus, und das passte absolut nicht zu dem, was er sagte: »Sie war die Tochter eines Komponisten, bei dem ich in Italien studiert habe. Sobald ich ins Ausland gegangen war, hatte Rushden mir den Geldhahn zugedreht, und ich hatte angenommen, dass er kein Interesse mehr an mir hatte. Als ich mich verlobte, erfuhr ich, dass das nicht der Fall war. Er – oder besser Grimston, sein Scherge – trat mit einem Angebot an die Dame heran, er wollte eine hübsche Summe zahlen, falls sie die Verbindung löste. Was sie tat.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Ich war sehr jung, einundzwanzig, ein melodramatisches Alter. Die Etüde ist nicht besonders gut, aber sie ist ganz bestimmt extravagant. Ich dachte daran zu …« Er warf ihr ein kurzes Lächeln zu, und sie hatte den Eindruck, dass er gerade beschlossen hatte, etwas zu verschweigen.

Weitere Kostenlose Bücher