Eine riskante Affäre (German Edition)
zerbrochen.
Sie hielten vor dem Haus. Nachdem sie dort eine Weile gewartet hatten, wischte sie sich die Nase mit dem Ärmel ab und richtete sich mit angehaltenem Atem stocksteif auf. Weitere Schluchzer entrangen sich ihr. Es war schwer, damit aufzuhören.
»Es … « Ihr Rachen war wie wund. »Es tut mir leid. Bis morgen bin ich aus deinem Haus verschwunden.«
»Du bleibst. Du kannst doch nirgendwo hingehen. Jess, wir müssen darüber reden.«
»Ich möchte nicht reden. Lass mich reingehen, Sebastian. Ich bin unsäglich müde.« Von allen sinnlosen Gefühlen ihres gesamten Lebens war die Liebe zu diesem Mann die hoffnungsloseste und vergeblichste aller Empfindungen.
»Hör mir zu. Dein Vater … «
»Gleich fange ich wieder an zu weinen. Darf ich es bitte, bitte woanders als vor dir tun?«
»Na schön. Wir reden, wenn du nicht mehr so erschöpft bist. Geh zu Bett.«
Sie ließ ihn aussteigen und erlaubte ihm, ihr aus der Kutsche zu helfen. Jemand wartete im erleuchteten Eingang. Eunice. Woher wusste sie immer, wann sie gebraucht wurde?
Noch ehe sie die Treppe erreichte, weinte Jess wieder. Eunice sagte kein Wort, sondern hielt sie nur fest.
31
Kennett House, Mayfair
Es war leichter, nachdem sie etwas Schlaf bekommen hatte. Zwar hatte sich dadurch nichts geändert, aber irgendwie gewann sie etwas Abstand zu den Ereignissen. Sie legte sich schlafen, und als sie aufwachte, waren es die Geschehnisse von gestern und nicht die von heute.
An gestern wollte sie nicht denken.
Jess lag im Bett und starrte die Dachschräge an. Sie konnte einen Mann aus England schaffen, gar kein Problem. In jeder Stadt, wo Whitby-Leute arbeiteten, stand auch ein Whitby-Fluchtmittel zur Verfügung. Die Londoner Route stand sozusagen in den Startlöchern. Pitney höchstpersönlich hatte dafür gesorgt. Die schwedische Schaluppe Ilsa Lindgren lag auf der Themse vor Anker. Sie hatte keinerlei Verbindung zu Whitby. Und am Asker-Street-Anleger war ein Tag und Nacht besetztes Beiboot angebunden, das stets bereit war, jemanden hinüberzurudern.
Sie würde Papa zur Flucht verhelfen. Zwar würde sie ihm nicht vergeben – niemand konnte entschuldigen, was er getan hatte – , doch sterben würde sie ihn nicht lassen. Für die Art von Gerechtigkeit besaß sie einfach nicht das nötige Herz aus Eis. Sie würde ihn in Sicherheit bringen … und dafür sorgen, dass sie ihn nie wiedersah.
Aber an nichts von alldem wollte sie im Augenblick denken.
Die Nacht hinter dem Fenster verlor allmählich ihr tiefes Schwarz und bekam graue Ränder von einem Licht, das so schwach wie ein neugeborenes Katzenjunges war. Es war noch so früh, dass nicht einmal die Milch ausgetragen worden war. Kein Stimmengewirr war zu hören, kein Klappern von Eimern. Es war der private Teil der Nacht, den niemand außer Dieben und Frauen von zweifelhafter Moral kannte. Und sie war beides. Kein Wunder also, dass sie wach war.
Wenn sie Cinq vor dem Galgen bewahrte, machte auch sie sich schuldig, oder? So zumindest würde Sebastian es sehen. Er war ein Mensch mit einem ausgeprägten Verlangen nach Rache und dem stahlharten Wesen, sie auch zu üben. Von ihm war kein Pardon zu erwarten, wenn er herausfand, was sie getan hatte.
Noch so etwas, woran sie nicht denken wollte. In ihrem Kopf war nicht genügend Platz zum Umdrehen, zu vielen Themen galt es auszuweichen.
Sie würde England bald verlassen. Hier hielt sie ohnehin nichts mehr.
Draußen wachte ein Vogel auf und trällerte zehn oder zwanzig Töne, ehe er den Kopf wieder in die Federn steckte und weiterschlief. Es war noch zu früh.
Erneut lag ein langer, harter Tag vor ihr, der aber auch etwas Gutes an sich haben würde. Sie sollte ihn lieber beginnen.
Barfuß tappte sie die Treppe hinunter und öffnete mit einem Knacken die Tür zu Sebastians Zimmer.
»Ich bin es«, verkündete sie leise. »Wirf kein Messer oder Ähnliches nach mir, wenn ich reinkomme, ja?«
Seine Stimme erklang vom Bett. »Ich passe gut auf.«
Er schlief nackt. Damit hatte sie also recht gehabt. Die Nacht war auch warm genug dafür. Besser gesagt, die Morgendämmerung. Sie zog ihr Nachthemd aus, ließ es fallen und kletterte zu ihm ins Bett.
Nackte Haut glitt an nackte Haut. Es irritierte sie, seinen gesamten Körper in dieser Weise zu berühren. Als spränge sie in einen See und alle Nerven bekämen gleichzeitig einen Schock. Sie hoffte, er würde ihr ein paar Minuten geben, damit sie sich daran gewöhnen konnte.
Vielleicht würde er ihr aber
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