Eine Rose fuer Captain Sparhawk
Sie konnte fühlen, wie bei jedem Schritt in den schweren Schuhen Blasen wuchsen, und ihre Fersen rutschten und rieben sich an den groben Strümpfen wund. Am Hafen hatte sie noch vorgehabt, so bald wie möglich von ihm fortzulaufen, doch selbst wenn er sie mit Eisenketten gefesselt hätte, wäre sie kaum mehr in der Lage gewesen, ihm zu folgen.
Selbst das Klima hatte sich gegen sie verschworen. Sobald sie sich soweit vom Hafen entfernt hatten, dass sie die Meeresbrisen nicht mehr spürten, wurde die Nachtluft in den Straßen der Stadt feucht und schwül. Ihre wollene Jacke, die Johnnys Mutter in dem weit entfernt gelegenen Rhode Island gefertigt hatte und die noch schwerer geworden war durch die Münzen, die Rose selbst eingenäht hatte, kratzte an ihrem Hals und ihrem Rücken.
Nick kümmerte sich um all das nicht und schritt weiter voran. Ein leichtes Lächeln spielte um seine Lippen. Das einzige Zeichen von Wärme, das sich an ihm bemerkbar machte, waren ein paar winzige Schweißtropfen auf seiner glatt rasierten Oberlippe und ein paar feuchte Locken, die sich aus der schwarzen Seidenschleife an seinem Nacken gelöst hatten. Sein weiches Leinenhemd war noch immer makellos, der leichte Tuchmantel wies keine einzige Falte auf, und Rose musste die bewundernden Blicke jeder Frau, an der sie vorüberkamen, gar nicht sehen, um daran erinnert zu werden, dass er der schönste Mann war, den sie jemals getroffen hatte.
Der schönste und der widerwärtigste …
„Du gibst mir einen Grund, mich für diesen Abend zu entschuldigen, Henry“, sagte Nick heiter. „Der Gouverneur hat mich zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung seiner Frau eingeladen, und dort ist es immer höllisch langweilig. Aber da du nicht eingeladen bist, müssen wir uns nach einer anderen Unterhaltung umsehen, was?“
Rose nickte nur, denn sie war sich nicht sicher, ob sie ihre Stimme gut genug verstellen konnte, um zu antworten. Diese kumpelhafte Seite an ihm erschien ihr seltsam. An Bord der Angel Lily verhielt er sich der Mannschaft gegenüber stets kurz angebunden, eben wie ein Kapitän. Aber vielleicht nahm er es an Land mit der Disziplin nicht so genau.
„Bleib nicht zurück, Henry“, warnte er sie. „Ich will dich hier in der Dunkelheit nicht verlieren.“
Obwohl Rose gern widersprochen hätte, musste sie doch zustimmen, und sie beeilte sich, ihn wieder einzuholen. Sie hatten das Hafenviertel mit seinen überfüllten, lauten Tavernen verlassen und durchquerten nun eine Gegend, die, wie sie vermutete, tagsüber von Kaufleuten bevölkert war. Zu beiden Seiten der Gasse standen Speicher, die während der Nacht verschlossen waren. Nur der Mond spendete hier ein wenig Licht, und der Klang ihrer Schritte auf den Pflastersteinen hallte in der Stille wider.
Zuerst hörte sie das Geräusch der Schritte. Es stammte weder von Nick noch von ihr, es waren schnelle Schritte, die ihnen folgten. Erschrocken drehte sie sich um und sah, wie drei Männer auf sie zukamen. Zwei von ihnen hielten Pistolen in den Händen und einer ein Messer. Mit einem ängstlichen Aufschrei blickte sie Nick an. Er stand neben ihr, die Beine gespreizt, leicht gebeugt und mit dem Rücken zur Wand. Jeder Muskel seines Körpers war gespannt und bereit zum Kampf, als das Mondlicht sich in der Klinge des Messers widerspiegelte, das er auf einmal in der Hand hielt.
Sie griff nach dem Halsband ihrer Mutter. Drei Mann gegen einen. Wie konnte Nick, mochte er noch so tapfer sein, gegen eine solche Übermacht gewinnen?
„Bleib hinter mir“, befahl er kurz. „Verdammt, jetzt gleich !“
Doch stattdessen drehte Rose sich um und rannte davon. Ihre Beine waren so schwach, der Mantel und die Schuhe so schwer, dass sie das Gefühl hatte, durch einen Sumpf zu waten, aber sie zwang sich weiterzulaufen, so schnell sie konnte. Sie spürte einen Luftzug, den sie als ihren eigenen Atem erkannte, und sie hörte die Geräusche eines Kampfes: Stöhnen und das schreckliche Geräusch von Schlägen.
Lieber Gott, nicht Nick, oh bitte, und wenn er noch so überheblich ist, bitte, nicht Nick!
Doch sie rannte noch immer, getrieben von ihrem Entsetzen. Sie hatte fast schon die Ecke erreicht, wo Arbeiter Steine und einen Sandhaufen zurückgelassen hatten, und sie wusste, wenn es ihr gelang, in die nächste Straße zu entkommen, könnte sie sich verstecken. Dann wäre sie in Sicherheit, niemand würde sie mehr finden, und …
„Hab ich dich, du kleines Wiesel!“
Mit einem spitzen Schrei fiel Rose nach
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