Eine Rose im Winter
schien dieser Erscheinung gleichsam Flügel zu verleihen, doch Pferd und Reiter blieben auf der Erde und sprengten unaufhaltsam weiter voran, ohne das Tempo zu mindern oder sich auszuruhen.
Nicht weit davon kroch in einer kleinen Hütte die übergewichtige Frau des Hauses aus ihrem zerwühlten Bett, da das laute Schnarchen ihres Mannes sie keinen Schlaf finden ließ. Sie warf ein paar Klumpen getrockneten Torfs auf das Feuer und trat zurück, um die langsam hochzüngelnden Flammen zu beobachten. Von Sorgen beunruhigt, fröstelte sie und sah sich um. In ihrem fülligen Bauch spürte sie eine Kälte, eine unbestimmte Vorahnung, daß ihnen etwas Entsetzliches bevorstand. Mit schlappenden Pantoffeln schlurfte sie über den Lehmfußboden und schenkte sich ein Glas starkes dunkles Bier ein. Dann kehrte sie zum Kamin zurück, lehnte ihren massigen Körper an einen grobgezimmerten Tisch, legte ihren fleischigen Arm darauf und schlürfte das Gebräu, während sie in die goldenen Flammen starrte.
Der Krug war noch halbvoll, als sie ihren Kopf zur Seite neigte, um verwirrt auf ein entferntes Rumpeln zu hören. War es Donner, den sie hörte? Oder nur der Wind?
Sie hob den Krug wieder zum Mund, doch hielt sie inne, um dieses Mal genau dem Geräusch zu lauschen. Es wurde lauter und deutlicher … und regelmäßig … wie der gleichmäßige Schlag von Pferdehufen.
Mit hartem Schlag stellte sie den Krug auf den Tisch und eilte zum Fenster, um die Läden aufzustoßen. Ein kaum hörbarer, zitternder Schrei entrang sich ihrer Kehle, als sie die schwarze Erscheinung wahrnahm, die aus dem Schatten der Bäume hervortrat. Der weite Reitermantel bauschte sich am Rücken gewaltig auf, und es schien, als ob Pferd und Reiter auf das Haus herabstoßen würden. Ihr Verstand stockte vor Angst, ihr Unterkiefer fiel herunter, und sie glotzte mit offenem Mund, wie das Pferd vor ihrer Tür plötzlich zum Stehen gebracht wurde. Der Rappe bäumte sich gereizt auf und schlug mit seinen blitzenden Hufen in die Luft, während sein drohendes Wiehern die Stille der Nacht durchbrach.
Die Frau schrie auf und taumelte vom Fenster zurück, ihre Hände umklammerten ihre Kehle, ihr Gesicht war zu einer angstverzerrten Maske erstarrt. Die tiefe Kapuze des Mantels verbarg das Gesicht des Reiters, doch sie war sich sicher, einen grinsenden Totenkopf gesehen zu haben. Dies mußte der Engel des Todes sein, gekommen, um sie zu holen.
»Timmy! Da ist er wieder! Timmy, wach auf!« stammelte sie erregt. »Oh, mein guter Timmy! Ich habe nie auch nur für einen Augenblick an deiner Geschichte gezweifelt.«
Timmy Sears kämpfte sich aus seinen Kissen hoch und blinzelte triefäugig, bis er seine Frau wahrnahm. Der Ausdruck des Schreckens auf ihrem Gesicht ließ ihn hellwach werden. Nach seinen Reithosen grabschend, stopfte er seine Beine und den Rest des Nachthemdes hinein, bevor er eilig zum Fenster stolperte, um zu sehen, was sie so geängstigt hatte. Sein Herz schien stillzustehen, als er den Grund ihres Entsetzens entdeckte.
»Timmy Sears!« Die unheimliche Stimme schickte dem Mann einen kalten Schauer das Rückgrat hinunter. »Tritt hervor und stirb! Du bist ein Mörder, und die Hölle wartet auf dich!«
»Das ist der, den ich gesehen habe!« schrie Timmy. »Doch wer bist du?«
»Der Tod!« rief seine Frau im Brustton der Überzeugung. »Er will uns holen!«
»Verriegle die Fensterläden! Wir werden ihn nicht reinlassen!«
»Timmy Sears«, rief die dröhnende Stimme. »Tritt heraus und stirb!«
»Ich komm' nicht!« schrie Timmy und warf die Läden zu.
Ein furchterregendes Lachen zerriss die Nacht. »Dann bleib und brenn! Bleib und verbrenn, du Teufel!«
»Er will unser Haus anzünden!« Timmys Stimme überschlug sich fast.
»Er will dich! Nicht mich!« kreischte seine Frau. Sie stieß die Tür auf, und bevor ihr Mann sie daran hindern konnte, hatte sie die Behausung verlassen. Im Wegrennen rief sie zurück: »Ich werde mich für kein'n Mörder nicht verbrenn' lassen!«
Timmy ergriff eine Axt und stürzte zur Tür heraus. Die Qualen eines Feuertodes erschienen ihm viel schlimmer zu ertragen als ein rascher Totschlag. Er hatte einmal einen Mann in Flammen umkommen sehen, und obgleich es ihn damals belustigt hatte, würde er alles tun, um ein gleiches Ende zu vermeiden. Doch wie die Dinge standen, mußte der Tod ihn erst einmal zu packen kriegen, und beim Kämpfen hatte er stets eine gute Hand gehabt.
»Und jetzt paß auf, du schwarzer Hurensohn!«
Weitere Kostenlose Bücher