Eine Rose im Winter
entehren. Sie fuhr wirbelnd herum und floh aus Angst, daß er eine Antwort von ihr verlangen würde, und ebenso verängstigt von dem, was sie ihm antworten würde.
Dreizehntes Kapitel
Der Pfosten des Fensterkreuzes drückte kühl gegen Eriennes Schläfen, als sie mit großen Augen durch das Glas der Fensterscheiben sah. Ehe die Nacht über das Land hereingebrochen war, hatten sich Wolken gebildet, die jetzt hinter einem zarten Schleier das Antlitz eines scheuen abnehmenden Mondes verbargen. Weiter im Süden warfen Hunderte von Londoner Lichtern einen milden bernsteinfarbenen Schein auf die flacher werdende Silhouette der Häuser. Als sie hinaussah, begann es leicht zu regnen, und die Lichter in der Ferne wurden schwächer, bis schließlich nur noch die knorrigen, nackten Äste der Eichen, schwach von den Stalllaternen erhellt, sich im Dunkeln verloren. Über das Gelände des Hauses hinaus waren keine Einzelheiten, keine Anzeichen einer bewohnten Welt zu erkennen. Erienne rieb ihre Stirn gegen das glatte Holz, als ob sie damit die Verwirrung lindern könnte, die in ihrem Innern tobte. Sie war dankbar, daß Lord Saxton noch nicht von seinen Geschäften zurückgekehrt war, da sie nicht wußte, wie gut sie ihre Erregung vor ihm würde verbergen können.
Ihr Atem ließ die rautenförmig geschnittenen Fensterscheiben anlaufen und versperrte ihr die Sicht der draußen liegenden Welt. Halb ärgerlich, halb unzufrieden wandte sie sich vom Fenster ab und zog das weiche Samtkleid enger zusammen, um sich vor der Kälte zu schützen. Auf der Suche nach Wärme ging sie zum Kamin und setzte sich auf einen niedrigen Stuhl. Bis auf eine einzige Kerze auf der Kommode am Bett waren alle Lichter im Raum gelöscht. Ihr spärlicher Schein und die tänzelnden Flammen des Kaminfeuers tauchten das Zimmer in ein weiches, goldenes Licht, das die Schatten verlängerte und verzerrte.
Nachdem die Aufregungen des Tages verebbt waren, überkam sie eine große Müdigkeit. Ihre Gedanken hörten jedoch nicht auf, sich wie Wellen einer schäumenden und aufgewühlten Brandung zu überschlagen. Sie konnte keine Ruhe finden. Christophers Worte wollten nicht im hintersten Winkel ihrer Seele bleiben, wo sie sie am liebsten begraben hätte. Immer wieder krochen sie wie Dämonen nach oben, um sie zu quälen und ihr Inneres nicht zur Ruhe kommen zu lassen.
»Von allen Seiten greift mich dieser wüste Yankee an«, klagte sie und schüttelte verzweifelt den Kopf, so daß die langen, offenen Haare herumwirbelten. »Seine Dreistigkeit hat keine Grenzen! Warum kann er mich nicht in Ruhe lassen?«
Doch die züngelnden Flammen hatten keine Antwort auf die Frage. In einem verzweifelten Versuch, die verworrenen Gründe für ihre Unzufriedenheit zu klären, fand sie zu einer anderen Überlegung.
»Es war einfach die Musik«, entschuldigte sie sich, »der Rhythmus und die Erregung des Tanzes.«
Noch während sie sie aussprach, klangen die Worte schon hohl und inhaltslos. Es waren seine Arme, die sie umfangen hatten! Seine Stimme, die sie vor Entzücken erschauern ließ! Seine Nähe, die ihr die Sinne durcheinander wirbeln ließ!
Sie kämpfte gegen den Strudel sich aufdrängender Gefühle, die sie in neue Tiefen der Verzweiflung hinabzuziehen drohten. Sie fühlte ein Zittern in der Brust, das ihrem Willen nicht gehorchen wollte. Dann entstand langsam vor ihr eine dunklere Gestalt, vor deren drohendem Aussehen die Phantasien verflogen. Die ausdruckslose Ledermaske, obwohl äußerlich nicht verändert, starrte sie vorwurfsvoll an.
Eriennes Kopf fuhr mit einem Ruck hoch, und ihre weit geöffneten Augen suchten im Zimmer nach demjenigen, der schon so viele Male heimlich und unbemerkt eingedrungen war. Obwohl niemand im Raum war, stand sie auf und begann mit nervösen, ruhelosen Schritten die Breite und Länge des Schlafzimmers auszumessen. Ihre schlimme Lage schien ausweglos zu sein, denn je mehr sie versuchte, in ihre Gefühle Vernunft und Logik zu bringen, um so verwirrter wurde sie. Schließlich warf sie mit einem Seufzer hoffnungsloser Verzweiflung ihr Kleid ab und ließ sich auf das Bett fallen. Sie lag bewegungslos da und ließ die kühle Luft durch das dünne Hemd wehen und ihren Körper liebkosen. Die Erregung ebbte langsam ab, und ihre Sinne kamen durch die Stille des Raumes zur Ruhe. Ihre Augenlider sanken langsam herab, während sie sich in Gedanken noch im Tanze drehte und noch einmal die Augenblicke durchlebte, als funkelnde graugrüne Augen die ihren
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