Eine Rose im Winter
gefangen hielten. Die schattenartige Gestalt kehrte zurück und stand am Fuß ihres Bettes, doch diesmal konnte sie im Halbdunkel keine Züge eines Mannes heraufbeschwören. Das Wesen starrte sie mit einem gefrorenen Lächeln an, und seine roten, glühenden Augen, die die Dunkelheit durchdrangen, ließen sie in plötzlicher Furcht erstarren. Da glitt im Kamin ein Holzscheit herab, und das aufflackernde Licht ließ sie die breiten Schultern, die schwarze Kleidung und die glatte Maske ihres Mannes erkennen.
Sie holte erschrocken Luft und richtete sich auf. Das Lächeln und die roten Augen waren nichts weiter als die dunklen Löcher in dem ledernen Gesicht. Mit Entsetzen dachte sie daran, was er in ihrem Inneren hätte sehen können.
»Meine Entschuldigung, Erienne«, krächzte er. »Sie waren so still, daß ich dachte, Sie schliefen. Ich hatte nicht die Absicht, Sie zu erschrecken.«
Das wilde Pochen ihres Herzens konnte durch seine Beteuerung nicht besänftigt werden. Sie versuchte ihre Stimme zu beruhigen, als sie antwortete: »Sie waren so lange fort, Mylord, fast dachte ich, Sie hätten mich vergessen oder verlassen.«
Unter der Maske klang ein keuchendes Lachen. »Sehr unwahrscheinlich, Madam.«
Sie fühlte, wie sein hungriger Blick verwegen auf ihr ruhte, und zitterte innerlich. Seine Lederhand streckte sich nach ihr aus, und sie erstarrte, als er ihr herabfallendes Haar zur Seite schob. Seine Finger tasteten sich in einer langsamen, schier endlosen Liebkosung ihren Arm entlang. Selbst durch den leichten Stoff ihres Nachthemdes konnte sie die unmenschliche Kälte seiner Berührung spüren. Ihr Puls jagte, als er näher trat, und mit einem Sprung war sie aus dem Bett. Sie stürzte quer durch den Raum und ergriff eine kleine, juwelenbesetzte Dose, die sie früher am Abend von Anne bekommen hatte.
»Sehen Sie sich das an, Mylord«, forderte sie ihn auf, als sie es ihm zeigte. Es kümmerte sie wenig, daß sie in ihrem fast durchsichtigen Nachthemd mit dem Geschenk auf ihren ausgestreckten Handflächen vor ihm stand. Ihr einziger Gedanke war, seinen Zärtlichkeiten zu entgehen und ihn versöhnlich zu stimmen. »Ist es nicht wunderhübsch?«
Lord Saxton öffnete die mit Samt ausgeschlagene Dose und zeigte nur flüchtiges Interesse. Überraschend fragte er sie, ohne aufzusehen, mit heiserer, leiser Stimme: »Wissen Sie eigentlich, wie sehr ich Sie begehre, Erienne?«
Sie ließ die Dose sinken und sah mit großen Augen in die Löcher der Maske, als er seinen Kopf hob. Tränen traten ihr in die Augen, und verzweifelt kämpfte sie mit der Zerrissenheit, unter der sie innerlich litt. Sie wußte, daß sie kein Recht hatte, sich ihm zu verweigern, doch genauso wenig konnte sie sich dazu bringen, sich ihm hinzugeben. Ihre Angst vor dem, was unter der Maske lag, war nicht so leicht zu beschwichtigen.
Seufzend atmete er unter der Ledermaske. »Schon gut, ich sehe schon, Sie sind noch nicht bereit, meine Frau zu werden.«
Sie hob ihre Hand mit kläglicher Geste, doch sosehr sie sich auch zu überwinden suchte, sie konnte sich nicht dazu bringen, ihn zu berühren, oder noch viel weniger, ihn sich als ihren Ehemann vorstellen.
Lord Saxton stand auf und ging in seiner umständlichen Art zur Tür. Dort hielt er inne und sprach zu ihr über die Schulter hinweg: »Ich muß morgen noch einiges erledigen. Ich werde schon fortgefahren sein, wenn Sie aufwachen.«
Mit diesen Worte verließ er den Raum und schloß die Tür hinter sich. Erienne fühlte sich unsäglich elend und starrte auf den Eingang. Ihre Schultern begannen erregt zu zucken, als ihr unterdrücktes Schluchzen immer heftiger wurde und ihr die Tränen über das Gesicht liefen.
***
Erienne war überrascht, die Leicesters bereits mit einem Besucher im Empfangsraum anzutreffen, als sie zum Frühstück kam. Dieser Besucher brachte unversehens ihre Gefühle durcheinander. Im ersten Augenblick, als sie ihn wahrnahm, wie er groß und elegant am Fenster stand, beschleunigte sich ihr Herzschlag, und sie mußte ihre aufkommende Erregung unterdrücken. Bald begannen jedoch Ärger und Verstimmung die Überhand zu gewinnen, als sie bedachte, mit welcher Unverfrorenheit dieser Mann es fertig brachte, sich den Freunden ihres Mannes anzuschließen.
Anne ging durch den Raum zu Erienne, die an der Tür stehen geblieben war, und nahm sie am Arm. »Kommen Sie, meine Liebe, ich habe hier jemanden, mit dem ich Sie gern bekannt machen möchte.«
Erienne widersetzte sich leicht, und
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