Eine Rose im Winter
Augen.
»Sie fürchten mich nicht mehr, Madam?« fragte er heiser.
Erst langsam begriff sie, daß jede Furcht vor ihm entschwunden war. Wenn auch die Maske immer noch wie eine Schranke zwischen ihnen war, so störte sie sich nicht mehr daran, und ganz gewiß würde er sie bald entfernen.
»Ich bin zufrieden, in jeder Weise Ihre Frau zu sein, Mylord«, sagte sie leise.
Lord Saxton war verblüfft über die Hingabe, die sie äußerte; er fand kein Wort der Erwiderung. Nie hatte er erwartet, daß sie ihre Schönheit einem häßlichen Unwesen hingeben würde, und nun riß sie alle Schranken zwischen ihnen hernieder. Was sollte er von ihr denken? Ob sie wohl dieses Unwesen liebte? Hatte er sein Spiel gewonnen oder es verloren?
Zögernd legte Erienne ihre Hand auf seinen Arm. »Wir müssen noch viel übereinander lernen, und wir haben ein Leben vor uns, um es zu tun. Es bestürzt mich, daß ich niemals Ihr Gesicht sah, und ich frage mich, ob Sie vielleicht aufgeben konnten, sie …«
»Nein, das kann ich nicht.« Er wandte sich von ihr ab und zog seinen dicksohligen Schuh über den Teppich. Vor dem Kamin blieb er stehen, starrte einen langen, bekümmerten Augenblick in die lodernden Flammen, dann legte er den Kopf zurück, drehte ihn über den Schultern hin und her, als plage ihn ein Schmerz. Jetzt, da sie sich ihm hingegeben hatte, fand er es noch schwieriger, die Maske abzulegen. Sie würde ihn nur um so mehr hassen, und er würde alles verlieren.
»Da Sie mir Zeit gaben«, sagte sie sanft, und ihre Stimme drang in seine Gedanken, »werde auch ich auf Sie warten, Mylord.«
Er wandte sich ihr halb zu, um sie anzusehen und fand ein freundliches Lächeln seiner wartend. Es drängte ihn, und er mußte sich zwingen, sie nicht in seine Arme zu nehmen, sich von der Maske und den Handschuhen zu befreien, und diese zarten Lippen zu küssen, bis sie unter seinen wund würden. Doch sein Verstand siegte und so mußte er seine Zeit abwarten, um nicht die vollkommene Rose zu verlieren, die er so sorgsam in seinen Händen hielt.
»Ich muß heute Vormittag fort«, sagte er in sorgfältig gewählten Worten. »Mr. Seton wird Ihnen beim Frühstück in der Halle Gesellschaft leisten. Ich bezweifle, daß ich zurück bin, ehe er fortfährt. Würden Sie mich bitte bei ihm entschuldigen?«
Erienne kehrte ihren Blick von der ausdruckslosen, starrenden Maske ab und fühlte, wie Röte wieder in ihre Wangen stieg. Christopher war der letzte Mensch, den sie an diesem Morgen sehen wollte; doch sie fand keine Ausrede, um den Wunsch ihres Ehemannes abzulehnen. Als sie sich zu einer Antwort entschloß, war ihr Nicken kaum zu bemerken.
***
Nur weil die Haushälterin freundlich darauf bestand, eilte Erienne die Treppe hinunter in die Halle, ehe zuviel Zeit vergangen war. Sie hatte lange in ihrem Bad verweilt und gehofft, daß Christopher die Geduld verlor und gehen würde; aber hinter den Vorhängen vor dem Alkoven, war Aggie im Schlafzimmer beschäftigt, bester Laune breitete sie die Laken über das Bett, die sie gestern zurückgelegt hatte, und die die Nacht über unberührt geblieben waren. Aggie und Tessie wählten zusammen ein mit einem Spitzenfichu verziertes Morgengewand aus. Die Eile der Haushälterin spornte auch Tessie an, deren Hände flogen, als sie hingebungsvoll die glänzenden schwarzen Locken ihrer Herrin bürstete. Im Handumdrehen steckte sie Eriennes wallendes Haar zu einer bezaubernden Fülle, die ihren geschwungenen Nacken vollendet zur Geltung brachte; und sie war nun bereit, dem Menschen zu begegnen, der ihr Leben von Grund auf verändert hatte.
Trotz der begeisterten Komplimente der beiden Frauen fühlte Erienne sich für eine Begegnung mit Christopher völlig unvorbereitet. Verzweifelt wünschte sie, sich in dem neu erworbenen Status einer Ehefrau sicher zu fühlen; aber da war eine quälende Erinnerung, die sie verwirrte, und das wachsende Widerstreben, ihn zu sehen. Selbst in der Hitze ihrer Leidenschaft, als Himmel und Erde sich zu diesem Augenblick der Seligkeit vereinten, wehte ein schwebender Duft durch ihr Gemüt und erfüllte ihre Gedanken mit einem kurzen Auftauchen seines feingeschnittenen Profils.
Auf der Wendeltreppe hinab hielt sie inne, um ihre Haltung wiederzugewinnen, obwohl nichts das entfesselte Pochen ihres Herzens besänftigen konnte. Es war, als sei sie blind für ihre Umgebung, denn ihre Gedanken waren an den Mann gefesselt, der im Salon wartete. Sie zitterte bei der Vorstellung, daß sie ihm
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