Eine Sacerda auf Abwegen
Ihre
Verabredung war gekommen. Pünktlich.
„Guten Abend,
Juno.“, wurde sie mit der samtig tiefen Stimme begrüßt, in der der weiche
irische Akzent angenehm mitschwang.
„Schön, dich
noch einmal zu sehen, bevor du abreist, Urien.“, erwiderte Juno den Gruß,
jedoch ohne ihm freudig entgegen zu lächeln.
Er setzte
sich ihr gegenüber und sah genauso ernst drein, wie sie das tat. Von den
europäischen Kriegern war er der einzige, mit dem sie nicht nur auf rein
beruflicher Ebene verkehrte. Man könnte beinahe behaupte, sie wären so etwas
wie Freunde. Es war wohl eher so, dass er sich in ihrer Schuld fühlte, weil sie
seiner jüngsten Schwester bei der Verarbeitung eines Traumas geholfen hatte.
Auch wenn Manasses dachte, dass sie sich als einziges Opfer auf der Welt
betrachtete, war dem nicht so. Ansonsten hätte sie die Aufgabe der Nuntia
niemals übernommen. Merkwürdigerweise war es die beste Ablenkung, sich mit den
Problemen von anderen zu befassen, da blieb keine Zeit für die eigenen, an die
sie nun einmal nicht mehr hatte denken wollen.
Urien nahm die Weinflasche, die auf dem Tisch stand, studierte das Etikett und
schenkte Juno dann nach, bevor er sich das eigene Glas füllte.
„Ich hatte
mit einer weit frostigeren Begrüßung gerechnet.“ Er hob das Weinglas an die
Nase, nachdem er es fachmännisch geschwenkt hatte. Die Weinkeller seines
Schlosses auf der grünen Insel waren legendär. Der Krieger hatte gemeinsam mit
seiner Mutter, der Patrona des Hauses Daghdha, der alten Residenz von Morrigan
wieder zu neuem Glanz verholfen.
Juno lächelte
schmal, während sie mit ihm anstieß: „Das wäre ziemlich ungerecht von mir… Es
war mir durchaus bewusst, dass Manasses nicht lange zögern würde… Er beginnt
nur mit den üblichen Verdächtigen oder mit denen, die ihm am besten in den Kram
passen. Es ist sein gutes Recht.“
Urien nahm
einen tiefen Schluck von der dunkelroten Flüssigkeit, ohne sie aus den Augen zu
lassen, in denen allerdings nur ein mitfühlender Ausdruck zu lesen stand.
Für eventuelle Zuschauer mochten sie ein Pärchen bei einem romantischen
Tête-à-Tête sein. Er groß und dunkel, leger in dunkle Jeans und ein Shirt mit
einem Tribal-Aufdruck gekleidet, sie blond und zierlich in einen weißen
Rollkragenpullover aus Cashmere gehüllt, den sie zu cremeweißen Marlene-Hosen
trug. Die langen Haare waren mit einem weißen Seidenband im Nacken
zusammengebunden, so dass ihr schmales Gesicht mit den großen Augen und den
delikaten Wangenknochen deutlich hervortrat. Obwohl die Damen im Club viel
aufwendiger hergerichtet waren und meist ziemlich luftig daher kamen, bemerkte
Urien durchaus, dass einige Männer Juno regelrecht wie hypnotisierte Kaninchen
anstarrten. Sie verhüllte ihre Gestalt normalerweise nicht umsonst, Baals
Priesterinnen waren nach der Umwandlung einfach unwiderstehlich, selbst wenn
sie es nicht sein wollten.
Juno ließ Urien das Essen auswählen und bestellen, da sie ja schon den Wein
ungefragt geordert hatte. Sie war zu früh dran gewesen, weil sie es einfach nur
hinter sich bringen wollte. Aber es wäre wirklich nicht fair gewesen, ihren
Unmut an dem unschuldigen Krieger abzureagieren, so dass sie ihm sogar den
Gefallen tat und tatsächlich etwas von dem Essen zu sich nahm, das sie sonst
nur auf dem Teller hin und her geschoben hätte wie bei so vielen der
europäischen Veranstaltungen, denen sie zwangsweise beigewohnt hatte. Am Ende
nahm sie allerdings nur einen Espresso und einen Cognac zur Nachspeise, auch
wenn die Küche des Fountain exquisit war. Deswegen war sie ja nicht gekommen.
Urien paffte eine Zigarre, so dass sich Juno eine Zigarette anzündete und
beinahe locker gegen die Lehne ihres Sitzes sinken ließ. Es herrschte zwar
reges Treiben um sie herum und so langsam trudelten die Gäste ein, die zum
Tanzen und Trinken in den Club kamen. Allein wäre sie kaum hergekommen, aber in
Begleitung des einschüchternden Kriegers würde sie kaum jemand ansprechen, so
dass sie die Ablenkung dankbar entgegen nahm. Es war leichter, in ihrem
Leuchtturm auf sich allein gestellt zu sein. Hier in der Fremde konnte sie
einfach keine Ruhe finden.
„Manasses
erwähnte eine kleine Auszeit, die er dir gewährt hat. Wirst du die Zeit nutzen,
sie besser kennen zu lernen?“, fragte Urien schließlich, als er sicher sein
konnte, ihr den sowieso schon kärglichen Appetit mit dieser Frage nicht mehr
verderben zu können.
Juno nahm
einen langen Zug von der Zigarette und stieß den
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