Eine Sacerda auf Abwegen
unterdrücken.
Sie erhob sich, die Fesseln von der linken Hand baumeln lassend, und wandte
sich der aufgelösten jungen Frau zu, die irgendwie versuchte, ihre kühle
Fassade aufrecht zu erhalten. Hätte sie in den Spiegel gesehen, wäre ihr das
als unmögliches Unterfangen klar geworden. Sie sah hinreißend zerwühlt aus und
ihre aufgewühlten Gefühle schienen mit Leichtigkeit durch die dünne bereits
zerbrechende Eisschicht ihres Äußeren hindurch.
„Ich habe
ebenso das Recht zugesprochen bekommen, Sie mitzunehmen, Honora Nuntia! Im Falle, dass Sie Ihre Worte unbedacht gesprochen haben, wäre das Orakel
bereit, eine andere Form der Bestrafung für Sie zu wählen. Eigentlich ist es an
Manasses, diese Insubordination zu ahnden, wir könnten ihn kommen lassen…
Murchadh hat mit dem Schlimmsten bereits abgeschlossen, er ist bereit, die
Strafe anzunehmen. Wir haben alle seine Worte gehört. Retten Sie sich, solange
noch Zeit dafür ist.“, schlug Gwen dem Mädchen vor, das mit einem feurig
zornigen Blick in den Augen in die Höhe schoss und kurz davor schien, sich auf
sie zu stürzen.
„NEIN! Ich
werde von meinem Vorhaben nicht abweichen! Niemand wird mich davon
abbringen können, das Richtige zu tun. Manasses wird sich eine neue Nuntia
suchen müssen, wie bedauerlich für ihn.“ Juno lächelte geringschätzig, da der
Gedanke sie belustigte, wie ihr Vorgesetzter wohl reagieren würde, wenn er
erfuhr, dass sie freiwillig für Chadh in den Tod gegangen war.
Gwen trat
einen Schritt näher und strich mit den Fingerspitzen über die leicht gerötete
Wange des Mädchens.
„Mich kannst du nicht täuschen… Ich benötige nicht den Beweis des Skarabäus, um
zu wissen, was hier vor sich geht… Es stand mir schon in dem Krankenzimmer klar
und deutlich vor Augen. Bei aller Freiheitsliebe und Aufopferungsbereitschaft
solltest du ihn doch wissen lassen, was dich bewegt…“, flüsterte sie Juno zu.
Diese wurde totenblass vor lauter Angst, die Patrona könnte Chadh einfach so
die Wahrheit sagen, an deren Oberfläche er schon recht erfolgreich gekratzt
hatte. Sie zuckte vor der Berührung zurück und ließ sich wieder auf den Diwan
gleiten, um das Gesicht abzuwenden. Sie würde sich nicht dazu verleiten lassen,
Chadh weiteren Schaden zuzufügen. Auch nicht von einer wohlmeinenden
Verwandten.
Gwen schloss
kurz die Augen und drehte sich zu ihrem Neffen um, dessen Haltung von genauso
unterdrückten Gefühlen sprach wie die von Juno Felix.
„Ich kann sie nicht zwingen, Murchadh… Es widerstrebt mir in diesem Fall
zutiefst, die Botin des Orakels zu sein. Ich würde selbst als Richterin mit
meiner großen Erfahrung nicht fähig sein, in diesem Fall Recht zu sprechen.
Dafür nagt an meinem Herzen ein zu großes persönliches Interesse… Ich ziehe
mich vorerst zurück. Es sind noch lange Stunden bis zum Sonnenuntergang…“
Gwen schenkte ihm ein trauriges Lächeln und streifte kurz seine Schulter mit
ihrer Hand, als sie an ihm vorbeiging, dann waren die beiden Delinquenten
wieder allein in dem Zimmer.
Oh Juno,
Juno. Damit bist du geradewegs in der Falle sitzen geblieben.
Die Türen des Zimmers schlossen sich und es war deutlich zu hören, wie sie
verriegelt wurden. Chadh hatte sich inzwischen auf Knien niedergelassen und
rieb sich mit einem leicht verschämten Grinsen auf den Lippen die Nase. In
seinen Augen blitzte es allerdings wissend und keineswegs schüchtern. Juno
hätte die Gelegenheit nutzen sollen, um seiner Reichweite zu entfliehen. Jetzt
wo die Ketten fort waren, glaubte sie doch bestimmt nicht, dass er keinen weiteren
Versuch machen würde, sie dazu zu bringen, ihm zu sagen, wozu er sie
aufgefordert hatte. Und wenn sie mit ihm spielen wollte, dann würde er nur zu
gern darauf einsteigen. Er war längst nicht so beschränkt in seinen
Möglichkeiten, wie sie anzunehmen schien. Der Besuch seiner Tante hatte ihnen
nur die benötigte Atempause und ihm einen klareren Kopf als eben verschafft.
Das angerichtete Essen roch verführerisch. Natürlich nicht so gut wie Juno,
aber es konnte nicht schaden, einen Bissen zu nehmen, um sich noch etwas mehr
zu sammeln und sich wieder einen kleinen Ausgleich gegenüber Juno zu
verschaffen. Also stand er in einer geschickten Bewegung vom Boden auf und
schlenderte lässig zum Tisch mit den Speisen hinüber, um wählerisch einem König
gleich das Beste herauszupicken. Einen knackig roten Apfel, dessen Schale
glänzte als hätte man ihn vor dem Servieren noch einmal extra poliert.
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