Eine Sacerda auf Abwegen
Oder einfach eine Affinität zu Menschen, die sich in
einer ähnlichen Situation wie sie befanden, obwohl sie das natürlich nur
vermutete… Aber den Klang seiner Stimme hatte sie bestimmt nicht falsch
interpretiert.
„ Je
comprend si bien ce que tu veux dire… Il y aura une
petite lumière pour toi, l’ obscurié ne restera toujours. Je
t’assure que tu la trouveras... “, flüsterte sie ihm ein, wobei sie ihrer
Stimme den hypnotischen Klang verlieh, der den meisten Sacerdas zu eigen war,
ohne das volle Ausmaß ihrer Fähigkeit auszuschöpfen.
Sie wählte absichtlich ihre Muttersprache, weil es nur darum gehen sollte, ihm
ein wenig Erleichterung zu verschaffen. So wie die Wärme des edlen Weinbrandes
es für kurze Zeit vermocht hatte. Ein bisschen Trost in dieser abweisenden
Welt. Warum sollte nicht auch einmal ein gewöhnlicher Sterblicher von der Gabe
profitieren?
Ich verstehe so gut, was du sagen möchtest… Du wirst ein Licht in der
Dunkelheit finden. Das versichere ich dir… Ein großes Versprechen, von dem
er sicher nicht überzeugt wäre, wenn sie es auf Englisch formuliert hätte. Sie
hätte ihm genauso gut die Cocktailkarte herunterbeten können, wenn sie dabei
nur diesen einen Tonfall einsetzte, der die stürmischen Wogen von aufgewühlten
Gemütern zu glätten vermochte. Es ging ja nicht darum, ihn seines freien
Willens zu berauben oder ihm Schaden zuzufügen, was durchaus im Bereich des
Möglichen für sie liegen würde.
Juno verstummte und schlenderte zu dem von ihr ausgewählten Tisch, an dem ihre
Flasche und ein Schwenker schon für sie bereit standen. Wenn er ihr kleines
Geschenk ablehnen sollte, würde sie eben zwei Flaschen für sich haben.
. . .
Chadh war vollkommen in seine eigene Gedankenwelt versunken. Er musste
schließlich nur warten und sonst nichts tun. Niemand störte ihn und er störte
sich an niemandem. Die Frau im Anzug hatte er längst vergessen. Nur das Blond
ihrer Haare suchte ihn wieder und wieder heim. Dieses wunderschöne,
engelsgleiche Haar. Wie gern er es doch berührt hätte. Nur einen Moment. Ganz
vorsichtig, um zu sehen, ob es ihm wirklich so viel Trost spenden konnte, wie
er zu ahnen glaubte. Warum nur fühlte er sich so dazu hingezogen? Welche
Erklärung gab es dafür? War er ein kranker Perverser, der nicht mehr alle
Tassen im Schrank hatte? Dabei fühlte er sich im Grunde vollkommen normal.
Einmal abgesehen davon, sich nirgends zugehörig zu fühlen. Vielleicht war es
das, warum seine Sinne in ihm so verrückt spielten. Er gehörte nirgends dazu
und war allein. Selbstverschuldet sozusagen. Er ließ niemanden nahe genug an
sich heran, um daran auch nur einen Hauch zu ändern. Er hatte keine Familie und
wollte keine Freunde, die ihn irgendwann sowieso verrieten und im Stich ließen,
wenn es hart auf hart kam.
Von seinen Gefühlen ließ Chadh sich nicht leiten. Es reichte schon, wenn das
Tier in ihm hin und wieder ungefragt das Ruder übernahm und Schaden anrichtete
wie heute Abend in Tulips Wohnung. Um die junge Immaculate tat es ihm immer
noch nicht leid. Seiner Meinung nach hatte sie bekommen, was sie verdiente und
wenn sie anständiger gewesen wäre, hätte das alles nicht passieren müssen.
Er ließ die Szene im Kopf Revue passieren, sah ihren nach hinten geworfenen
Kopf, ihren weit aufgerissenen stöhnenden Mund mit den kleinen Fangzähnen
darin, die bei ihm nie ernsthaften Schaden angerichtet hätten und dann seine
sich verändernden Hände auf ihrem Körper, die zu fellbesetzten Pranken mit
scharfen Krallen wurden und schließlich gar nichts mehr, denn wenn die Bestie
herauskam, wurde um ihn herum alles schwarz, als hätte man ihm einen
K.O.-Schlag verpasst.
Chadh schauderte. Ihn überkam das Verlangen, noch einmal zu duschen und dann so
tief und fest zu schlafen wie schon lange nicht mehr. Dabei wusste er, dass ihn
in seinem desolat hungrigen Zustand nur eine sehr große Menge Alkohol zum
Schlafen bringen würde. Etwas, auf das er heute Abend offenbar keine Chance
mehr hatte und somit würde er mit dieser grauenhaften, ekelerregenden
Erinnerung an Tulips verbrauchten Körper und seine Tat wach liegen, bis der
Nachmittag hereinbrach und er zu seiner Spätschicht in die Docks zum Arbeiten
musste. Leere Fischcontainer zu schrubben, war genau die richtige Arbeit für
einen dreckigen Versager wie ihn.
Just in dem
Moment, als hätte das Schicksal doch einmal Erbarmen mit ihm, stellte der
Barmann eine Flasche nebst Glas vor ihm hin. Wem hatte er das denn
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