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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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abbestellt war, die Wachleute außer Gefecht setzen und flüchten konnte. Die Nachricht davon verbreitete sich in Windeseile im ganzen Ort, und die Dorfhonoratioren und Kaufleute verbarrikadierten sich voller Entsetzen in ihren Häusern. Die Zwangsarbeiter waren ja schön und recht, solange sie am »Rechen« angekettet waren, doch sobald sie frei herumliefen, wurden sie erneut zu den Mördern, die sie einst gewesen waren (und sei es auch mit mildernden Umständen, ansonsten würden sie ja am Galgen baumeln). Mit einem Schlag waren sie in den Augen der Leute, die im Dorf das Sagen hatten, zu gefährlichen Fremdkörpern geworden.
     Etwas war im Busch, das war deutlich zu spüren. So schloß sich Sarzana zusammen mit seinen Soldaten und den Lebenslänglichen im Torre-Gefängnis ein und verfluchte vermutlich jenen Tag vor dreihundert Jahren, an dem die Abschaffung der Zugbrücke beschlossen worden war. Er versäumte es nicht, eine Patrouille von Männern auszusenden – mutige Freiwillige, wie er glaubte –, um die Fliehenden wieder einzufangen. Wohlgemerkt – er glaubte das. Einige Stunden später aber kehrte nur die Hälfte der Mannschaft zum Gefängnis zurück (sogar der Oberaufseher fehlte), und zwar ohne die Ausbrecher. Es war aber nicht so, daß die Fehlenden den Heldentod auf dem Schlachtfeld gefunden hätten, nein, sie hatten es ganz einfach vorgezogen zu desertieren, und zu diesem Zwecke hatten sie sich als Freiwillige gemeldet. Da am nächsten Morgen nicht die geringste Spur der ausgebüchsten Lebenslänglichen im Dorf zu entdecken war, verlief das Leben in Borgata Molo bald wieder in seinen gewohnten Bahnen. Sarzana aber blieb in der Torre eingeschlossen. Am fünfundzwanzigsten Januar schließlich traf die Nachricht ein, daß De Majo sich aus dem Königspalast von Palermo davongemacht hatte und De Sauget sich mit seinen fünftausend Soldaten unter großen Strapazen auf dem Rückzug nach Messina befand.
     Zu jenem Zeitpunkt bereitete sich De Sauget in Wahrheit darauf vor, zusammen mit seinen Männern bei Solanto, dreißig Kilometer von Palermo entfernt, in See zu stechen. Da er jedoch statt acht Stunden zwanzig gebraucht hatte, um Villa Abate zu erreichen, denn von allen Seiten war auf ihn geschossen worden, war er schließlich überzeugt, Messina nur auf der Ansichtskarte zu Gesicht zu bekommen. Die Bourbonenherrschaft in Sizilien war fortan nur noch durch die Wehrburg von Castellammare, die Zitadelle von Messina, das Torre-Gefängnis von Borgata Molo und einige andere kreuz und quer über das Land verstreute Festungen repräsentiert, die aber allesamt nicht imstande waren, gemeinsame Sache zu machen (vielleicht wollten sie das auch gar nicht). So befanden sich die in Sizilien verbliebenen Bourbonen im Grunde genommen im Belagerungszustand.
     Um die Belagerung konkrete Formen annehmen zu lassen, drängte sich in der Abenddämmerung des fünfundzwanzigsten eine Schar von rund hundert Leuten vor den Mauern des TorreGefängnisses. Zu glauben, die Küstenbewohner der Borgata hätten beschieden, daß der Wind der Revolution tatsächlich tragen würde, ist falsch: Von diesen Leuten werden nur ungefähr dreißig echte Borgateser gewesen sein, die meisten von ihnen waren Sackträger, also solche, die die härteste und schlechtbezahlteste Arbeit im Ort verrichteten. »In jenen Tagen waren viele Fremde eingetroffen«, erzählte meine Großmutter und fügte hinzu, daß Verwandte und Freunde ausreichend Zeit gehabt hätten, um von ihren Heimatorten nach Borgata zu eilen und die Befreiung der Gefangenen zu organisieren; viele der Auswärtigen hatten das allgemeine Tohuwabohu genutzt und waren bewaffnet erschienen. Während diese Hundertschaft in Richtung Turm zog, verbarrikadierten sich die Honoratioren, Bürger und Kaufleute erneut in ihren Häusern, steckten Kerzen zu Ehren der Mutter Gottes an und sandten Stoßgebete aus, daß der Sturm aufs Gefängnis mißlingen möge (besonders inständig werden die Pächter der Arbeitssträflinge gebetet haben). Als die Gefangenen die Stimmen von draußen hörten, gerieten sie in höchste Aufregung, ohne genau zu wissen, was da eigentlich vor sich ging. Sie begriffen, daß sich auf alle Fälle etwas zu ihren Gunsten rührte, und veranstalteten ein Höllenspektakel. Anders als Marullo annahm, verlor Sarzana in dieser Situation nicht den Kopf und ließ sich auch nicht zu Handlungen aus blinder Wut hinreißen. Er begriff umgehend, daß keiner seiner Männer, sollte er alle für die

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