Eine Schwester zum Glück
gehörten. Ihre Entschlossenheit gefiel mir. Auch wenn es sich gleichzeitig so anfühlte, als hätte man uns ausgeraubt.
Dixie gestattete uns – eigentlich nur Mackie, weil ich nichts heben sollte –, die meisten, wenn nicht alle Sachen unserer Mutter in unsere alten Zimmern zu bringen und dort zu lagern, bis wir Zeit hatten, sie richtig durchzusehen. Dixie schwor immer wieder, dass sie unsere Zimmer nicht anrühren würde. »Ich werde noch nicht einmal die Türen aufmachen«, sagte sie.
Also landeten die Schachteln voller Plunder – Flaschen mit Handlotion, Lippenstifte, Liebesbriefe, Bücher – in meinem alten Zimmer und die Klamotten auf Mackies altem Bett, zusammen mit den Fotoalben und Jahrbü chern. Das Einzige, was wir an dem Tag mit zu Mackie nahmen, waren sechs Kostüme unserer Mutter, mit denen wir uns früher immer verkleidet hatten. Sie hingen in Plastikhüllen im Kleiderschrank unserer Eltern, und Mackie nahm sie vorsichtig heraus. Dixie bot uns an, die Kleider in ihrem Escalade vorbeizubringen, doch Mackie lehnte höflich ab.
Als Kinder hatten wir diese Kleider so oft anprobiert. Wir stopften die Mieder mit Taschentüchern aus und gingen auf Zehenspitzen, damit der Saum nicht auf dem Boden schleifte. Wir beschmierten uns mit knallrotem Lippenstift und viel zu viel Rouge. Wir stachen uns mit Mascara halb die Augen aus und malten uns Schönheitsflecke auf – manchmal so viele, dass unsere Mom uns mit einem feuchten Küchentuch hinterherlief.
»Einer ist ein Schönheitsfleck«, erinnerte ich mich an ihre Worte. »Zwanzig sind Windpocken.«
Auf dem Rückweg machte Mackie sich Sorgen, weil ich so viel herumgestanden hatte, wegen all dem Staub und dem emotionalen Tribut, den es gefordert hatte mit anzusehen, wie die Sachen unserer Mutter aus ihrem rechtmäßigen Zuhause vertrieben wurden von dieser Redneck-Lady .
»Das ist das Letzte, was du brauchst«, sagte sie und marschierte weiter. »Die Sachen deiner toten Mutter durchzugehen.«
»Mackie«, sagte ich. »Mir geht’s gut.«
»Das weißt du nicht.« Sie warf einen Blick auf meinen Bauch. »Du hast keine Ahnung, was da drin vor sich geht.« Und ihre Stimme klang so traurig, dass ich ihr nicht weiter widersprach.
Als wir nach Hause kamen, war Mackie derart entmutigt, dass sie mir nicht einmal befahl, mich hinzulegen. Stattdessen versuchte ich sie zu trösten, während ich Wasser für eine Kanne von Clives Darjeeling aufkochte.
»Dann passiert es mit dem Baby eben nicht diesen Monat«, sagte ich. »Na und?«
»Du hast leicht reden.«
Ich wollte, dass sie sich besser fühlte. Ich küsste sie auf den Kopf und sah ihr dann in die Augen. »Weißt du denn nicht?«, meinte ich so überzeugend wie möglich. »Beim ersten Versuch klappt es nie.«
5
E s klappte aber doch. Beim ersten Versuch. Trotz unseres ganzen Pessimismus hatte ich binnen Wochen sieben positive Schwangerschaftstests durchgeführt, zur Bestätigung die Ärztin aufgesucht und übergab mich wie verrückt. Die Übelkeit verlor recht schnell ihren Glanz – auch wenn das erste Mal irgendwie aufregend war. Mackie und ich klatschten sogar ab, bevor sie davoneilte, um ihren Vorrat an Druckpunkt-Armbändern gegen Reisekrankheit und Dosen mit Gingerale zu suchen.
Und dann, an dem Morgen, der offiziell acht Wochen markierte, an einem Freitag Mitte März, erwachte ich mit einem Tumor.
»Ich habe einen Tumor«, verkündete ich Mackie beim Frühstück.
»Wieder mal?«, fragte sie.
»Fühl doch«, forderte ich sie auf, während sie mir Orangensaft auspresste.
»Nein.«
»Ich brauche eine zweite Meinung«, sagte ich.
»Und genau deshalb werde ich ihn nicht abtasten.« Sie würde nicht den ganzen Vormittag die Ausmaße eines Knotens irgendwo an meinem Körper diskutieren. »Ich habe keinen Bedarf an Tumorgesprächen. In der Hinsicht reicht es mir wirklich.«
»Komm schon«, sagte ich.
»Wir reden nicht darüber. Du weißt sowieso, was ich denke.«
»Was denkst du denn?«
»Ich denke, dass alles in Ordnung ist.«
»Warum?
»Weil bei dir immer alles in Ordnung ist.«
Da hatte sie nicht ganz unrecht. »Aber«, setzte ich an, »eines Tages wird es nicht so sein. Ich werde einen Tumor haben, der tatsächlich einer ist. Und wenn der Tag kommt, wollen wir den Krebs dann nicht rechtzeitig erwischen?«
»Ja«, erwiderte Mackie. »Wenn der Tag kommt, sollten wir ihn definitiv rechtzeitig erwischen.«
Ich bemühte mich, wenigstens zweimal pro Jahr eine Große Sorge einzuschieben.
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