Eine Schwester zum Glück
ich zurück nach Hause zog, perfekte Beispiele für die jeweiligen Extreme. Mackie liebte ihren Ehemann heiß und innig, und mir ging es genauso mit meinem Job.
Doch jetzt war ich zu Hause. Ich hatte weder einen Job noch eine Beziehung. Und auch keine Wohnung, kein Auto und keinen Freundeskreis. Oder auch nur die ge ringste Aussicht auf irgendetwas davon. Alles, was ich hatte, war ein wachsender Bauch, weit nach den ersten drei Monaten noch heftige Anfälle morgendlicher Übelkeit und die sich immer deutlicher abzeichnende Erkenntnis, dass neun Monate ein viel längerer Zeitraum waren, als ich je für möglich gehalten hätte.
Ich hasse es, das alles zuzugeben. Es ist mir wahnsinnig peinlich, was mir damals alles durch den Kopf ging. Allerdings konnte ich später erkennen, dass ich nicht wirklich Clive selbst wollte, sondern das, wofür Clive stand. Während ich dort wohnte, wurde ich ganz aus der Nähe Zeugin einer echten, funktionierenden Ehe. Und auch wenn Clive nie seinen Teller zur Spüle trug oder seine Zeitung ins Altpapier steckte, zog er dafür sonntagmorgens los und kaufte frische Croissants, und er streichelte seiner Frau über die Haare, wann immer sie fernsahen. Bei den beiden sah das Eheleben ziemlich gut aus. Zum ersten Mal im Leben wollte ich das auch. Und was das Zusammentreffen dieser Erkenntnis mit meinem schwangeren Zustand und Clives versehentlichem Kuss betrifft, möchte ich diejenige sehen, die in genau der gleichen Lage wie ich nicht die gleichen furchtbaren Gefühle gehegt hätte.
6
D rei elende Monate vergingen, und ich weiß nicht einmal, was ich in der Zeit getan habe.
An ein paar Dinge erinnere ich mich noch. Ich ernährte mich gesund, trieb Sport und versuchte, ein guter Brut kasten für die Babys zu sein. Ich führte ein Tagebuch, in dem ich über Wahrheit, Sehnsucht und den Sinn des Lebens philosophierte. Ich entwickelte ein Gelüst nach Mesquite-Hühnchen-Burgern in einem Tex-Mex-Restaurant ganz in der Nähe und aß fast jeden Tag einen. Ich sah mir Kochsendungen an. Ich kaufte im Internet Umstandsmode. Ich markierte das Datum meines Kaiserschnitts – 20. September! – auf dem Kalender und fügte pflichtbewusst für jeden Tag, den ich überlebt hatte, ein weiteres X hinzu. Ich lungerte in der Ratgeberabteilung unserer Buchhandlung herum und guckte verstohlen in Bücher mit Titeln wie Liebe Sünde, Finger weg von dem Kerl, Süße! oder Anleitung zum Glücklichsein .
Es war eine merkwürdige Zeit. Sechs Jahre lang hatte ich mich ununterbrochen abgerackert – und auf Dinge wie Wochenenden und Silvesterpartys verzichtet – für den nicht unbefriedigenden Lohn, immer das größte Engagement, die besten Ideen und die umwerfendsten Präsentationen in der ganzen Agentur zu haben. Man rechnete es mir nicht so hoch an, wie ich es verdient hätte, aber ich wusste, selbst wenn es den Typen am Ruder nicht klar war, dass es fünf, vielleicht sechs Leute in unserer Agentur gab, die den Laden wirklich schmissen. Und Kid Dy-no-mite gehörte nicht dazu, trotz seines Eckbüros. Ich schon. Ich war ein Star. Ein vor sich hin funkelndes Sternchen in meinem kleinen Gemeinschaftsbüro gleich neben den Aufzügen.
Doch ich bereute es nicht, die E-Mail mit den echten Brüsten verschickt zu haben. Wenn überhaupt, hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich zu unserem kollektiven Unglück beigetragen hatte. Wenn ich jetzt darüber nachdachte, war das Bild eines glühend heißen Brandeisens am Dekolleté einer Frau ohne Zweifel ein bisschen brutal.
Jetzt, arbeitslos in Texas, redete ich mir ein, dass ich mich in einen Kokon einspann. Ich hatte sechs Jahre lang nicht innegehalten und mir auch nur die geringsten Gedanken gemacht, und nun war es an der Zeit, etwas darüber zu erfahren, wie man ein besseres Leben führte. Wann würde ich je wieder mietfrei in einem so schönen Haus wohnen? Wann könnte ich noch einmal so in meinem Leben auf die Pausetaste drücken? Es war eine einmalige Gelegenheit, und ich wusste, dass ich das Beste daraus machen sollte. Also versuchte ich, mich in einen Kokon einzuspinnen – selbst wenn ich den Verdacht hegte, dass ich, wenn ich das Ganze erst einmal hinter mir hätte und endlich wieder zum Vorschein käme, immer noch dieselbe Raupe sein könnte, die ich schon immer gewesen war. Und selbst wenn Sich-in-einen-Kokon-Einspinnen in der Theorie besser klingt, als es sich in der Praxis an fühlt. Besonders, wenn vor dem Fenster ständig der eigene Schwager in Boxershorts
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