Eine Schwester zum Glück
mich verwählt habe.«
Mrs. Tierney rief an, um mir eine Stelle anzubieten. Und sobald die Worte ihren Mund verlassen hatten und ohne auch nur zu fragen, worum es sich bei der Stelle handelte, sagte ich: »Ich nehme sie!« Sie hätte mich fragen können, ob ich den Boden wischen würde. Ratten fangen. Oder Toiletten schrubben. Es war mir egal.
Als sie bei mir anrief, lief gerade eine große Kampagne im Denkmalschutzverein, und sie hatte keine Zeit für Erklärungen. Während unseres kurzen Telefonats wurde sie mehrmals von Leuten unterbrochen, die rasche Antworten auf dringende Fragen benötigten. Im Hintergrund war das Läuten von Telefonen zu hören und geschäftiges Treiben. Sie fragte mich, ob ich zu einer eilig organisierten Pressekonferenz am Nachmittag kommen könnte, und ich bejahte.
Kurz vor dem Auflegen fragte ich sie, worum es eigentlich ging. Sie musste weg und legte mit den Worten auf: »Sie reißen die Bibliothek ab.«
Später beim Umziehen, als ich mir die Strumpfhose über den Bauch dehnte, fragte ich mich, um welche Bibliothek es sich wohl handelte. Houston ist eine große Stadt. Man hatte gerade vor ein paar Jahren die riesige Bibliothek im Stadtzentrum renoviert. Konnte es die sein?
Im Denkmalschutzverein herrschte hektischer Trubel – der Raum war voller Leute und Reporter, während der Kopierer auf Hochtouren lief. Auf der anderen Seite des Zimmers erblickte ich Howard Hodgeman, und er winkte mir zu, als wären wir alte Kumpel. Barbara Tierney stand auf einem Podium und probierte das Mikrofon aus. Es wimmelte von Menschen, und ich war mir nicht einmal sicher, wo ich einen Stehplatz finden würde. Ich wollte mich schon auf den Teppich knien, da sah ein Reporter mich – und meinen Leibesumfang – und überließ mir seinen Platz.
Als Barbara Tierney das Wort ergriff, trat Stille ein. Sie hatte die Art Stimme, die eigentlich kein Mikrofon benötigte, doch sie benutzte es trotzdem, was sie ein kleines bisschen wie die Stimme Gottes klingen ließ. Sie legte die Situation dar, und ich war ganz gebannt. Das waren wir alle. Ich glaube nicht, dass sich die ganze Zeit über auch nur jemand kratzte.
»Wie Sie wissen«, setzte Barbara an, »ist Houston die Großstadt mit den schwächsten Denkmalschutzgesetzen im ganzen Land. Denjenigen von uns, denen am Denkmalschutz liegt, ist schon millionenfach das Herz gebrochen worden. Ich habe eine Narbe für jedes Bauwerk, das wir verloren haben: das Shamrock Hotel, die Gulf Publi shing Company, das Ashland Tea House, das Cooley House. Jeder hier kennt die Liste.«
Sie holte tief Luft.
»Gestern habe ich Neuigkeiten erfahren. Den Hintergrund kennen Sie bereits: Die Stadt hat vor, eine unserer beiden Carnegie-Bibliotheken an einen Bauunternehmer zu verkaufen und die Bücher auf andere Bibliotheken in der Stadt umzuverteilen. Der Bauunternehmer, der das Carnegie-Gebäude kaufen will, plant, es abzureißen und auf dem Grundstück ein Hochhaus zu bauen.«
Leises Gemurmel ging durch den Raum.
»Wer diese Bibliothek gesehen hat, weiß, dass es sich um ein atemberaubendes städtisches Bauwerk handelt – ein Gebäude, dessen Schönheit nicht nur der Stadt zur Ehre gereicht, sondern dem Konzept des Bauens an sich. Es ist neunundneunzig Jahre alt. Die Bibliothek wird ständig genutzt – sie befindet sich lediglich ein paar Blocks von einer Grundschule entfernt und ist Hort eines blühenden Leselernprogramms.«
In dem Raum herrschte Schweigen.
Barbara fuhr fort: »Es war ein Überraschungsangriff. Die Pläne für den Verkauf sind so rasch aufgetaucht, dass wir nicht einmal Zeit hatten, das Gebäude in unsere Liste gefährdeter Bauwerke aufzunehmen. Doch vor zwei Tagen hat dieses außergewöhnliche Gebäude eine zweite Chance bekommen. Ein Spender hat angeboten, die halbe Geldsumme für den Kauf des Gebäudes zur Verfügung zu stellen, falls die Bürger einer Schuldverschreibung über den restlichen Verkaufspreis zustimmen. Der Stadtrat hat sich bereit erklärt, den Verkauf vorerst zu stoppen und die Schuldverschreibung bei einem Referendum im November auf den Stimmzettel zu setzen. Das Bauwerk ist ein Schatz, und wir können es retten. Doch wir müssen das Ganze publik machen und die Schuldverschreibung durchsetzen.«
Als sie fertig war und die Leute bei Kaffee und Donuts herumstanden, kam Howard auf mich zu. Bei einem herzlichen Handschlag sagte er: »Heute sind meine Taschen tücher alle, Rotznase. Hoffentlich haben Sie sich im Griff.«
Bis spät am Abend
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