Eine Schwester zum Glück
Boss und die Tittenmaus. Wieder vereint.
»Stimmt.« Ich zog einen Schemel heran. »Ich bin der Boss gewesen. Wir haben diese BH -Reklame gemacht, weißt du noch?«
»Sicher.« Sie betrachtete mich eingehend. Ich hatte vielleicht den vierfachen Körperumfang von ihr. Vielleicht den fünffachen. Dann sagte sie: »Du siehst anders aus.«
Du auch, schoss es mir durch den Kopf. Doch stattdessen sagte ich: »Tja, ich bin schwanger.«
»Oh.« Sie nickte. Dann: »Die Reklame, die wir gemacht haben, ist jetzt überall.«
»Yep«, sagte ich. »Allerdings.«
»Wenn ich Leuten sage, dass das ich bin, wollen sie wissen, ob es wehgetan hat, das Brandzeichen verpasst zu bekommen.«
»Was antwortest du dann?«
»Ich sag’ ihnen, dass alles gestellt ist.«
»Und was sagen sie darauf?«
»Sie wollen die Narbe sehen.«
Die Erinnerung an die Zeit der Fotoshootings schien sie eine Sekunde lang aufzuheitern, doch als sie in die Gegenwart zurückkehrte, verzog sie wieder das Gesicht.
»Ich bin nicht mehr der Boss«, sagte ich. »Man hat mich gefeuert. Jetzt wohne ich hier.«
»Tatsächlich?« Sie versuchte mitzukommen.
»Nicht hier.« Ich wies auf den Raum, für den Fall, dass das nicht klar war. »Aber hier in Texas.«
»Ist Texas nicht furchtbar?«, meinte sie. »Ich muss zehn Wochen bleiben, bevor ich nach New York zurück kann.«
Ich verstand sie. Damals wusste ich ganz genau, was dieses winzige Mädchen empfand, was es bedeutete, nach Hause zu kommen, bevor man so weit war – bevor einem das, wovor man auch immer Angst hatte, keine Angst mehr machte.
»Texas ist super«, sagte ich, um zu sehen, ob ich es ihr einreden konnte. »Du hast ja so Glück, dass du Gelegenheit hattest, nach Hause zu kommen.«
Sie bedachte mich mit einem Blick. Ach, komm schon.
Ich redete mit ihr, als wäre sie ein kleines Kind. Was sie ganz gewiss nicht war, wie jedes Foto bestätigen konnte, das ich je von ihr gesehen hatte. Aber was soll ich sagen? Der Schein trog. Genau deshalb verkaufte unsere Titten-Kampagne BH s schneller, als die Läden sie in die Regale räumen konnten. Und deshalb fragten auch so viele Leute Veronica, wie es sich anfühlte, ein Brandzeichen verpasst zu bekommen.
»Woher wusstest du, dass ich hier bin?« Ihre Augen waren verschwollen, ihre Lippen aufgesprungen. Sie hatte Heftpflaster an den Händen, und ich überlegte, welche Art von Verletzung sie sich wohl zugefügt hatte.
Ich wusste nicht recht, was ich darauf antworten sollte. Ich wollte mich nicht mit J. J. in Verbindung bringen oder irgendetwas über ihn sagen, das ihn in einem besseren Licht dastehen ließ, oder auch nur seinen Namen erwähnen. In jeder Minute wurde mir klarer, wie wenig es helfen würde, über ihn zu reden. Sie wirkte viel zu labil für eine Debatte über J. J.s Unzulänglichkeiten. Mein Plan, ihr mit Argumenten zu einer besseren emotionalen Verfassung zu verhelfen, fiel in sich zusammen, und einen anderen hatte ich nicht. Ich wollte wie eine gute Fee in Erscheinung treten – geheimnisvoll, aber genau im richtigen Augenblick – und alles wiedergutmachen.
Dann sagte sie: »Hat Mr. Dynamite dich angerufen?«
Eine Sekunde lang konnte ich nur blinzeln. »Bitte sag mir, dass du ihn nicht Mr. Dynamite nennst.«
Sie sah verlegen aus, und ich fühlte mich schlecht, weil ich sie in Verlegenheit gebracht hatte.
»Er hat dir gesagt, dass du ihn so nennen sollst?«, fragte ich.
»Ich habe bloß gehört, wie Leute ihn so genannt haben.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe gedacht, es sei sein Spitzname.«
J. J. hatte mit einem Mädchen geschlafen, das ihn Mr. Dynamite nannte, und er hatte nicht gewusst, wie zartbesaitet sie war.
»Nennen wir ihn einfach bei seinem richtigen Namen, okay?«
»Wie heißt er denn?«
»Dick«, sagte ich. »Nennen wir ihn einfach Dick.«
Sie willigte ein.
Schließlich blieb ich, bis die Lampen zur Bettzeit blinkten, und bekam sämtlichen Klatsch über die anderen Mädchen in der Entzugsklinik erzählt. Wenn Veronica einmal loslegte, gab es kein Halten mehr. Sie berichtete mir von den aufgedunsenen Spaghetti zum Mittagessen, dem von Maschendrahtzaun umgebenen Hof für die Raucher und von der Gruppentherapeutin, die sie dazu bringen wollte, »Somewhere Over the Rainbow« zu singen.
»Du machst Witze, oder?«, fragte ich.
»Nein«, sagte sie. »Und ich bin hier erst seit zwei Tagen.«
Ich konnte nicht die Verantwortung für dieses Mädchen übernehmen. Das würde ich nicht. Obwohl mir J. J.s Worte Hilf
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