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Eine Schwester zum Glück

Eine Schwester zum Glück

Titel: Eine Schwester zum Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Center
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seinen Schritt. Er rief die Antwort über die Schulter und ging weiter nach draußen zu seinem Wagen. »Dann haben sie eben eine ausgelassen! Es ist ja nicht das Telefonbuch.«
    In Wirklichkeit war ich am Ende des Vormittags dankbar, dass ich das Gebäude zum ersten Mal nicht auf dem winzigen Bild einer Buchseite erblickte. Ich weiß selbst nicht, wie ich es geschafft hatte, in dieser Stadt aufzu wachsen und dieser Bibliothek keinen einzigen Besuch abzustatten, doch bis zu dem Vormittag, als wir sie alle gemeinsam besuchten, hatte ich sie noch nie zuvor gesehen. Und so müde ich auch nach meiner langen Nacht war, und so warm es mir auch in der Vormittagssonne wurde, werde ich doch nie den Moment vergessen, in dem ich zum allerersten Mal meinen Blick zu dem Gebäude hob.
    Ich muss die Einzige in der Gruppe gewesen sein, die es noch nie zuvor gesehen hatte. Alle anderen kletterten aus unserer Wagenkolonne, schnappten sich Handys, BlackBerrys und Laptops und gingen mit gesenkten Köpfen hinein. Ich hingegen blieb mit offenem Mund auf dem Gehsteig stehen. In meiner Brust spürte ich ein Kribbeln, beinahe eine Scheu, wie es einem vielleicht ergeht, wenn man auf einer Cocktailparty unvermittelt einem Filmstar begegnet – eine Mischung aus Überraschung, Entzücken und der Befangenheit, die überwältigende Schönheit hervorruft.
    Es steht außer Frage, dass die uns umgebenden Objekte einen großen Einfluss darauf ausüben, wie wir die Welt erfahren. Auf dem Deck eines Kreuzfahrtschiffes zu sitzen ist nicht das Gleiche, wie beispielsweise in der U-Bahn Platz zu nehmen. Auf einer Blumenwiese zu stehen ist etwas anderes, als in einem Amt in der Warteschlange zu stehen. Sonnenschein ist nicht Neonlicht. Drinnen ist nicht draußen. Schön ist nicht das Gleiche wie hässlich. Diese Aussagen sind nicht nur meine Meinung, sondern Tatsachen.
    Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Gebäude beschreiben kann. Ich glaube nicht, dass eine Auflistung seiner einzelnen Kennzeichen – der rote Backstein, die Balustrade, die in Kalkstein gemeißelten Figuren, das bunte Glas – ihm gerecht werden kann. Später sollte Howard es mir als neoklassizistischen Grundriss eines griechischen Kreuzes be schreiben, dessen Arme von überwölbten Seitenflügeln gebildet werden. Ich würde noch alle möglichen Wörter aufschnappen, um es zu beschreiben, wie etwa Ziergiebel, Säulengebälk und Pilaster . Aber angesichts etwas derart Solidem, Heroischem und Echtem wie diesem Bauwerk sind Wörter einfach zu wenig. Es ist, als würde man versuchen, den Parthenon zusammenzufassen. Was würde man sagen? Er hat hohe weiße Säulen, viele Bildhauerarbeiten und ist richtig, richtig groß.
    Eines aber weiß ich: Der Anblick dieser Bibliothek raubte mir den Atem. Die Atmosphäre, die ihr Aussehen schuf: das Leuchten dieser alten, gewellten Glasscheiben in den Fenstern. Wie die Backsteine, Verzierungen und der Stein alle zusammentrafen und mehr daraus machten, als es in seinen einzelnen Bestandteilen war. Die schiere Größe, die es unglaublicherweise schaffte, einen gleichzeitig zu überwältigen und willkommen zu heißen, sich so wohl gewaltig als auch gemütlich anzufühlen, majestätisch wie auch gütig. Sie erhob sich aus dem kleinen Park von St. Augustine, der sie umgab: mit ihrem Fundament so fest auf der Erde, doch ihr achteckiges Kuppeldach und der Witwensteg streiften den Himmel.
    Allerdings war sie reparaturbedürftig. Die Farbe blätterte ab, die Regenrinnen hingen durch, und eine der gewaltigen Steinkugeln, die das Dach schmückten, war heruntergefallen und lag, in zwei Teile zerbrochen, neben dem Eingang.
    Es entging Howard nicht, wie ich mit offenem Mund vor mich hin staunte.
    »Sie sind noch nie hier gewesen, nicht wahr?«
    »Natürlich bin ich das«, log ich und reihte mich hinter ihm ein. »Es ist bloß schon so lange her, dass ich mich kaum mehr erinnern kann.«
    Später würde Howard die Fotos mit mir durchgehen, die wir an dem Tag schossen, und die Bauprinzipien erklären, die das Gebäude zu dem machten, was es war. Wie die Formen und Winkel alle zusammenspielten und Beziehungen eingingen, die das Auge erfreuten und Balsam für die Seele waren; wie die Anordnung der Fenster, Säulen und Türen menschliche Urbedürfnisse nach Sicherheit, Ordnung und Verbindung widerspiegelte. Am Ende des Tages begriff ich allmählich die Psychologie der Architektur – nicht nur, dass sie schön war, sondern auch warum.
    Doch in diesem Augenblick wusste ich nur,

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