Eine Schwester zum Glück
arbeiten ging, ließ ich mich immer noch nach mittags von Dixie verwöhnen. Sie war einfach unwiderstehlich.
Etwa einen Monat lang hing ich herum und machte nichts anderes, als zu den Klängen von Peter, Paul and Mary die Sachen meiner Mutter durchzugehen und in Schachteln zu sortieren. Zwar war ich nicht davon ausgegangen, die sechs Wochen Mutterschaftsurlaub zu neh men, die mir zustanden, andererseits hatte ich aber auch nicht damit gerechnet, dass die Zeit derart schnell verfliegen würde. Ich spürte die deutliche Versuchung, für immer in diesem Haus zu bleiben und mich wie einer von Dixies geretteten Streunern lieben zu lassen. Doch dann ereigneten sich quasi gleichzeitig drei Dinge, die mich gewaltsam in mein richtiges Leben zurückholten.
Das Erste war ein Besucher. Eines Nachmittags, nachdem ich etwa einen Monat dort war, kam Dixie den Flur entlanggeklackert, lugte in mein Zimmer, wo ich mit einem Buch auf der Brust eingeschlafen war, und flüsterte vom Türrahmen: »Es ist ein gut aussehender Mann da, der sagt, er sei früher einmal dein Freund gewesen.«
Ich hatte Everett seit der Geburt der Zwillinge nicht mehr gesehen und bat Dixie, ihm zu sagen, ich wäre beim Duschen, während ich mich zurechtmachte. Ich konnte ihn nicht ausstehen. Aber ich würde trotzdem nicht nach unten gehen, ohne mich vorher zurechtzumachen. Ich putzte mir die Zähne, reinigte sie mit Zahnseide, band die Haare zurück, zog mir frische Sachen an und trug Lippen stift und Mascara auf.
Letztlich wartete er fast eine halbe Stunde auf mein Erscheinen. Ich hätte ihn gerne noch länger warten lassen, doch ich wurde selbst ungeduldig.
Als ich in die Küche trat, bereitete Dixie gerade einen Nachmittagssnack aus englischen Muffins und Hotelproben-Marmelade zu. Das Wiedersehen verursachte mir ein leichtes nervöses Kribbeln.
Doch der Kerl, den ich vorfand, war überhaupt nicht Everett. Es war J. J.
Er blickte auf und sagte: »Du siehst furchtbar aus.«
Ich machte auf dem Absatz kehrt und wollte gleich wieder nach oben.
Doch J. J. kam angelaufen. »Warte!«
Er war ungepflegt – die Krawatte ungebunden, Hemdkragen nicht zugeknöpft, Dreitagebart. Er sah aus wie jemand, der wirklich von ganz, ganz weit her kam.
Ich sagte: »Was um alles in der Welt treibst du hier?« Vielleicht war es mein Tonfall, aber Dixie verschwand eilig aus der Küche, ohne den letzten Muffin ganz mit Butter zu bestreichen.
»Sie ist weg«, erklärte er mir.
»Wer ist weg?« Die Ehefrau? Die Geliebte? Die Putzhilfe?
»Veronica!«
»Du weißt doch wohl, dass sie nicht so heißt, oder?«
»Ich meine es ernst! Sie ist weggelaufen!«
Seine Augen waren blutunterlaufen, und er hatte seine Serviette zerfetzt. Ich reichte ihm den halb fertigen Muffin. »Seit wann denn?«
»Du musst mir helfen, sie zu suchen!«
In diesem Augenblick hatte ich tatsächlich das Gefühl, ihm bei seiner Suche helfen zu müssen. Allerdings nicht um seinet-, sondern um ihretwillen.
»Schön«, sagte ich. »Aber ich fahre.« Ein paar Minuten später auf dem Weg zu seinem Mietwagen fragte ich: »Wie hast du mich überhaupt gefunden?«
»Meine Sekretärin hatte deine Adresse.« J. J. zuckte mit den Schultern. »Ich soll dir ausrichten, dass es ihr leid tut.«
»Ich hasse dich immer noch«, sagte ich.
»Da bist du nicht die Einzige.«
Während der Fahrt brachte er mich auf den neuesten Stand. »Veronica« war während einer Art Tornado geflohen, als die Klinik nach Dallas evakuiert wurde. Sie hatten an einem Whataburger angehalten, und sie war beim Austreten verschwunden. – Einem der Mädchen erzählte sie, sie werde per Anhalter nach New York fahren, wo die Liebe auf sie warte.
Das war mittlerweile einen Monat her! Komisch, dass ich Schuldgefühle empfand, weil ich sie seit den Babys nicht mehr besucht hatte, dabei war sie gar nicht dort. Seit ich nicht mehr bei Mackie und Clive wohnte, spürte ich keinen so starken Drang mehr, jeden Tag raus aufs Land zu fahren. Und da sich nun Dixie um mich kümmerte, war auch mein Bedürfnis nach Gesellschaft zurückgegangen. Doch wenn ich nur einmal kurz vorbeigeschaut hätte, hätte ich wenigstens gewusst, dass April verschwunden war. Jetzt hatte ich ein noch schlechteres Gewissen. Vielleicht hätte ich irgendwie helfen können. Auch wenn ich nicht recht wusste, wie.
J. J. war nicht unterrichtet worden, da er nicht zur Familie gehörte. Er hatte es nur herausgefunden, weil er zufälligerweise angerufen und jene freundliche Empfangs dame
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