Eine Schwester zum Glück
musste. Manchmal legte sie noch nicht einmal auf. Sie legte das Telefon beiseite und ging weg, und es dauerte ein oder zwei Sätze, bis mir klar wurde, dass da niemand mehr am anderen Ende war. Sie sagte, das Haus sei ein totales Chaos: Überall häuften sich Windeln, bespuckte Tücher und Fläschchen – sowohl saubere als auch schmutzige – auf sämtlichen Ablageflächen, und Dixie konnte das bestätigen.
»Vielleicht solltet ihr die Kinderfrau öfter dahaben«, schlug ich vor.
Doch Mackie rief: »Nein!« Dann stieß sie ein Seufzen aus, das ein halbes Knurren war. »Ich arbeite an der Mutter-Kind-Bindung.«
Mackies perfektes Leben war ein Scherbenhaufen, und ich empfand Mitleid mit ihr. Wenn ein Baby ins Telefon kreischte, machte ich mehr als einmal den Witz: »Ist das Clive?« Doch es brachte Mackie nie zum Lachen – einmal sogar zum Weinen.
Natürlich wollte sie, dass ich ihr helfen kam, ihr Gesellschaft leistete und Fläschchen für die Mädchen warm machte, während sie duschen ging. Doch ich fand, dass das Clives Aufgabe war. Oder etwa nicht? Bei Dixie hatte ich im Fernsehen eine Reportage darüber gesehen, dass Männer nach der Ankunft eines Babys oft von der Bildfläche verschwanden. Sie fühlten sich überwältigt und verunsichert. Sie vermissten ihre Ehefrauen. Sie hatten das Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben. Folglich stürzten sie sich in die Arbeit, irgendwelche langweiligen Aufgaben oder Golf, bis sie die Kurve kriegten – auch wenn das manchmal Monate oder Jahre dauerte, oder gar nicht passierte.
Doch das schien nicht zu Clive zu passen. Er war einer von den Guten. Er hatte einen Camcorder gekauft, um die schönsten Momente festzuhalten, und hatte sich einen Autoaufkleber auf den Wagen geklebt, auf dem stand: Who’s Your Daddy? Selbst wenn Mackie nicht übertrieb, wie viel er auf einmal arbeitete, würde er sich bestimmt bald wieder einkriegen. Hier war seine Chance, von dem fantastischen Elternschutz-Paket zu profitieren, das er eingeführt hatte, und sich ganze sechs Wochen freizunehmen. Wenn ich anrückte und alles für ihn erledigte, würde er sich nie überlegen müssen, wie er helfen könnte. Ich redete mir ein, mir läge lediglich Mackies Bestes am Herzen. Doch was soll ich sagen? Abgesehen davon wollte ich wirklich, wirklich, wirklich nicht zu ihnen.
Einmal sagte Mackie am Telefon: »Kann man an postnataler Depression leiden, wenn man gar keine Geburt hinter sich hat?«
»Sicher!«, meinte ich. »Depressionen sind für alle da.«
So schrecklich es auch klingen mag, sie zog mich runter. Ich hatte mich lange genug mies gefühlt. Ich wollte, dass es mir endlich besser ging. Es ist peinlich, aber manch mal mied ich sogar ihre Anrufe. Ich weiß, am Anfang klang ich um einiges edelmütiger, als ich meine Gebärmutter so gnädig anbot. Damals war ich eine großartige Schwester. Zum Teufel, ich war ein großartiger Mensch ! Mittlerweile war ich ein bisschen weniger großspurig. Doch mein schlechtes Gewissen brachte mich zwar dazu, ans Telefon zu gehen, aber nichts auf der Welt konnte mich zu einem Besuch bewegen.
Ich wünschte ihr alles Gute, doch irgendwie hatte ich mit der Sache abgeschlossen. Jedenfalls momentan.
Abgesehen davon hatte ich ein neues Projekt. Denn da ereignete sich eine dritte Sache, die mich zurück ins Leben zog. Ich ging wieder in die Arbeit.
Kaum dass ich aus dem Krankenhaus herauskam, rief Howard bei mir an. Die Zeit lief uns davon – vom Geburtstag der Mädchen an, dem 17. September, waren es nur noch zwei Monate bis zu dem Referendum. An meinem zweiten Tag bei Dixie rief Howard an und fragte: »Wann, meinen Sie, kommen Sie wieder?«
»Bekomme ich denn nicht sechs Wochen frei oder so?«, fragte ich.
»Wir haben keine sechs Wochen«, sagte Howard. »Wir brauchen Sie wieder, aber dalli . Außerdem entgeht Ihnen der ganze Spaß.«
Ich kehrte trotzdem erst nach einem Monat zurück, und bis dahin hatte Howard unser PR-Event bereits ohne mich geplant. Ich verpasste die ersten beiden Besprechungen – aufgrund einer Geburt, wie Howard ins Protokoll schrieb –, doch die dritte war genau für den Tag meiner Rückkehr angesetzt, und sie fingen erst an, als ich eingetroffen war.
Fast wäre ich nicht hingegangen. Beinahe wäre ich bei Dixie geblieben und hätte den Tag vor dem Sex and the City -Marathon verbracht, der im Kabelfernsehen lief. Doch wenn ich nicht hingegangen wäre, hätte Howard keine Gelegenheit gehabt, mir zu sagen, alle Mitarbeiter im Büro
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