Eine skandalöse Braut
seine Frau besorgt an. Sie war zuletzt häufig auf dem Sitzpolster herumgerutscht. Die Hände hatte sie sichtlich verkrampft im Schoß gefaltet. »Geht es dir nicht gut?«
»Es geht mir gut«, versicherte sie ihm. Die Kutsche bog jetzt in die lange Auffahrt ein. »Es ist nicht deswegen. Ich bin bloß etwas nervös, weil wir am Ziel sind.«
Sie wäre nicht die erste Person, die vom Anblick des Stammsitzes der Dukes of Berkeley eingeschüchtert wurde.
Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich das Erscheinungsbild des Hauses wenig verändert. Es war noch immer darauf ausgelegt, den Besucher zu beeindrucken und vielleicht sogar einzuschüchtern. Es erhob sich über terrassenförmig angelegten Gärten, ansteigenden Steintreppen und rechteckigen, lang gestreckten Wasserbassins. Hin und wieder hatte ein Vorfahre das Anwesen umgebaut, aber die Frontseite, die dem Ankommenden zugewandt war, hatte in all den Jahrhunderten nichts von ihrer Großartigkeit eingebüßt, die sich vor allem aus der schieren Größe speiste und nur zu einem Teil durch die Eleganz bezog.
Berkeley Hall ähnelte vielen anderen adeligen Stammsitzen dieser Tage: prächtige Ausmaße, ein Hauptgebäude, das sich drei Stockwerke in den Himmel hob und den Park mit seiner Größe dominierte. Obwohl Alex gerne an diesen Ort zurückkehrte, an dem er seine Kindheit verbracht hatte, barg der kleine Landsitz, über den er und Amelia geredet hatten und den zu kaufen er sich vorgenommen hatte, eine viel größere Anziehungskraft für ihn.
»Es ist riesig.«
»Jetzt verstehst du vielleicht, warum ich kein Interesse an pompösen Bauten habe«, bemerkte er. Seine Frau blickte derweil aus dem Kutschenfenster auf das Heim seiner Kindheit. »Ich glaube, davon hatte ich für dieses Leben genug.«
»Der Landsitz meines Vaters ist etwas bescheidener.« Amelias Lächeln war nicht besonders beständig, und sie saß steif auf der Polsterbank ihm gegenüber. Entweder ihr Vater hatte sich geschlagen gegeben oder Tante Sophia hatte dem Schneider ein großzügiges Bestechungsgeld zukommen lassen. Heute früh war nämlich eine Truhe mit Kleidern in Alex’ Stadthaus abgeliefert worden. Er hatte nicht gefragt, ob die Kleider neu waren oder ob man ihr einen Teil ihrer Garderobe geschickt hatte. Selbst jetzt, da die Beziehung zu ihrem Vater aufs Äußerste angespannt war, wollte Alex sie nicht unglücklich machen, indem er das Thema ansprach. Sie trug an diesem Tag ein elegantes, hübsches Reisekleid aus blauer Georgette. Das dunkelgoldene Haar hatte sie im Nacken zu einem Knoten aufgesteckt. Aber die Anspannung, die in ihren schmalen Schultern und den fest verschränkten Händen sichtbar wurde, stand im Gegensatz zu ihrem gelassenen Gesichts-
ausdruck.
Als der Kies unter den Kutschenrädern knirschte, streckte er die Hand nach ihr aus. Er löste ihre Hände voneinander und umfasste eine behandschuhte Hand mit der seinen. Sein Blick begegnete ihrem unverwandt, und er hoffte, sie fand Trost und Beruhigung darin. »Meine Familie wird dich lieben. Entspann dich. Selbst wenn sie es aus einem völlig absurden, störrisch motivierten Grund nicht tun würden, wäre das doch egal. Wir sind verheiratet. Siehst du? Problem gelöst.«
»Ich bezweifle, ob es so einfach sein wird, Alex. Die Reaktion meines Vaters auf deinen Heiratsantrag hat mich sehr getroffen«, murmelte sie. Ihre unfehlbare Ehrlichkeit rührte ihn. Ihre Finger schlossen sich fester um seine. Er musste sich wieder ins Gedächtnis rufen, wie jung und unerfahren sie noch war. Sie hatte ihr Wohlergehen – ihr ganzes Leben! – in seine Hände gelegt, weil sie ihm vertraute.
Das war eine Erfahrung, die ihn mit großer Demut erfüllte. Besonders, da ihre heimliche Beziehung durchaus als stürmische Romanze bezeichnet werden konnte.
»Männer sind in dieser Hinsicht anders.« Er hob nüchtern die Schultern. Es war die Wahrheit. »Er möchte dich nur beschützen, und ich habe ihn gebeten, dich ihm wegnehmen zu dürfen. Das klingt vielleicht allzu einfach, aber …«
»Ich bin nicht jemandes Besitz.« Sie unterbrach ihn mit beeindruckender Würde und Ruhe. »Noch stehe ich stellvertretend für das, was zwischen Anna und meinem Großvater passiert ist. Was man uns antut, ist ungerecht.«
»Du hast ja so recht, meine Süße. Behalte das nur im Hinterkopf, wenn du dich in die Höhle des Löwen wagst.«
Da lächelte sie. Aber ihr Mund bebte. »Hast du eine Ahnung, ob sie uns in der Luft zerreißen werden?«
Das Sonnenlicht fiel
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