Eine skandalöse Braut
und bückte sich, um sein maßgeschneidertes Jackett vom Boden aufzuheben. »Wie lange hat Eure Nichte bereits diese Atemprobleme? Wie ernst ist es?«
Eigentlich müsste sie ihm jetzt erklären, dass ihn das nichts angehe. Aber das besorgte Stirnrunzeln, das seine Worte begleitete, wirkte überraschend aufrichtig.
Im Übrigen war sie gerade Zeugin eines außergewöhnlichen Kusses geworden. Er, der mit seinem zerzausten, dunklen Haar und den markanten männlichen Zügen so gut aussah, hatte Amelia umarmt, die helle, schmale Amelia. Es war eine sehr zärtliche Umarmung, ein wunderschöner Moment, und beinahe hätte Sophia umgedreht und sich leise zurückgezogen, bis sie sich daran erinnerte, wer er war. Selbst wenn es diese stadtbekannte Antipathie zwischen den beiden Familien nicht gäbe, blieb immer noch sein schlechter Ruf, den er zweifellos verdiente. Es gab Gerüchte, dass seine aktuelle Mätresse eine italienische Opernsängerin namens Maria Greco war, die gleichermaßen für ihre Schönheit und ihr explosives Temperament bekannt war.
Trotzdem hörte sie sich sagen: »Es war viel schlimmer, als sie noch ein Kind war. Inzwischen ist der Frühling die einzige Jahreszeit, in der sie noch ernste Probleme hat.«
»Das hat sie mir erzählt. Ist es schlimmer, wenn sie in London oder auf dem Land ist?«
»Hier in London. Ich vermute, es hat etwas mit dem ganzen Ruß zu tun. Sobald es wärmer wird und weniger Rauch aus den Schornsteinen der Stadt aufsteigt, hat sie nicht annähernd so viele Probleme.«
»Warum zu Teufel ist sie nicht einfach in Cambridgeshire, wenn die Londoner Luft so schlecht für ihre Gesundheit ist?«
Sophia rückte ihren Turban zurecht, der dank seines durchnässten Zustands inzwischen hoffnungslos zu einer Seite kippte. »Ich habe vorgeschlagen, unsere Ankunft zu verschieben, aber ihr Vater war unnachgiebig, damit sie nicht den Anfang der Saison verpasst.«
Er murmelte etwas, das verdächtig nach »verdammter Narr« klang. Sophia stimmte ihm insgeheim zu, obwohl Amelia dieses Leiden bereits seit ihrer Kindheit begleitete, weshalb sie inzwischen recht gut damit umzugehen wusste. Soweit Sophia wusste, ahnte niemand in der feinen Gesellschaft etwas von der Sache.
»Davon abgesehen, Mylord«, fuhr Sophia mit fester Stimme fort, »muss ich Euch darum bitten, Euch von meiner Nichte fernzuhalten. Auch wenn ich Eure Sorge um ihre Gesundheit an diesem Abend zu schätzen weiß, gilt offenbar Euer Interesse nicht nur diesem Thema.«
»Sie ist sehr schön.« Er wirkte bemerkenswert unbeeindruckt. Vielleicht ein bisschen amüsiert.
Genau das, was man von einem notorischen Lebemann erwarten würde.
»Ja«, stimmte Sophia ihm zu. »Das haben auch schon andere Männer bemerkt. Respektable Verehrer, die ihr viel bieten können, angefangen bei einer stabilen Ehe. Obwohl ich durchaus anerkenne, dass Ihr einen guten Ruf als Kriegsheld genießt …«
»Vergebt, wenn ich Euch unterbreche, Madam, aber ehrlich gesagt ist jeder Mann, dem es gelingt, im Krieg am Leben zu bleiben, ein Kriegsheld.« Seine Stimme klang merkwürdig flach. »Darum möchte ich klarstellen, dass ich Eurer Nichte nicht einmal das bieten könnte. Ich bin mir bewusst, welche Einwände Ihr vorbringen wollt, Ihr braucht sie daher nicht einzeln aufzuzählen. Ich bin ein Freigeist, der den Ruf genießt, sich mit zahllosen Frauen zu vergnügen. Ich habe Vermögen, aber keinen Titel. Mein Vater ist ein Duke, doch werde ich ihn nie beerben, und das ist für mich in Ordnung, auch wenn es mich als Ehemann zu einem weniger aussichtsreichen Kandidaten macht. Da ich ohnehin nicht nach einer Frau suche, empfinde ich es sogar als Vorteil, nicht in der Pflicht zu stehen. Aber ich bin sicher, auch das seht Ihr anders. Normalerweise wäre die Verbindung mit der Familie St. James eine Feder, mit der man sich schmücken könnte, aber das gilt nicht für die Pattons, da zwischen unseren Familien seit jener schicksalhaften Affäre vor vielen Jahren eine gewisse Feindschaft gepflegt wird. Ich verstehe das absolut. Macht Euch keine Sorgen. Ich bin nicht daran interessiert, um Lady Amelia zu werben.«
Verblüfft ob seiner freimütigen Aufzählung all der Gründe, warum er als Verehrer unerwünscht war, schwieg Sophia einen Augenblick. Dann fragte sie einfach: »Aber … warum?«
Sein Lächeln war bezaubernd. So teuflisch und verführerisch, dass sie selbst in ihrem Alter vor dieser anziehenden Kraft nicht gefeit war und leicht errötete. »Warum ich sie
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